Economiesuisse und ICTswitzerland: Vision einer kalten Schweiz 2.0

Gestern haben Economiesuisse und ICTswitzerland die zweite Auflage ihrer Vision für eine digitale Volkswirtschaft veröffentlicht: Auf dem Weg zu «Smart Switzerland». Darin schreiben die Präsidenten und Geschäftsführer der einschlägigen Verbände, aber auch Google, ABB, Siemens und IBM wie sie sich die Schweiz 2.0 vorstellen.

Zwar wird auch über OpenData (bei Verkehrsdaten) und Datenschutz («kann nicht losgelöst vom Thema Datensicherheit betrachtet werden») geschrieben. Dies aber eher allgemein. Für ein starkes und durchsetzbares Datenschutzgesetz scheint nicht viel Sympathie vorhanden zu sein. Dafür wird aber beispielsweise von Menschenlogistik geschwärmt:

Wer morgens aufsteht, erfährt noch vor dem Frühstück, welcher Verkehrsträger heute ideal ist, um zur Arbeit zu gelangen. Je nach aktuellem und erwartetem Verkehrsaufkommen, Wetterprognose und den eigenen Terminen schlägt die Smartphone-App automatisch die ideale Kombination von Verkehrsträgern und Reisezeitpunkt vor. Der Pendler nimmt dann beispielsweise das Auto bis Punkt x (weil bis hierher eine gute Verkehrssituation herrscht und genügend Parkplätze zur Verfügung stehen) und steigt dann auf die S-Bahn um, die zu diesem Zeitpunkt jeweils schlecht ausgelastet ist. Dabei zahlt der Pendler über das RFID-Bezahlsystem exakt die Leistungen, die er bezieht. Für die abendliche Rückreise schlägt das intelligente Verkehrsleitsystem unterschiedliche Reisezeiten vor. Um 16 Uhr (schwache Auslastung) kostet die Rückreise 20 Franken, eine Stunde später steigt mit der Nachfrage auch der Preise auf 30 Franken. Selbstverständlich bleiben bei all diesen Transaktionen die persönlichen Nutzerdaten geschützt.

(Wahrscheinlich, wie bei den Handy-Standortdaten, hauptsächlich vor den betroffenen Personen.)

Aber nicht nur gegen das Bevölkerungswachstum scheint IT das Mittel der Wahl, auch zu selbstständigem und gesunden Leben will sie beisteuern:

Die Gesundheitsversorgung im Alter ist bereits heute eine der grössten politischen Herausforderungen einer wachsenden, aber alternden Schweiz. Wie lange jemand im hohen Alter selbstständig leben kann, wird zum entscheidenden Kriterium für die Finanzierbarkeit der Gesundheitsversorgung in der Schweiz. ICT-Applikationen sind ein entscheidendes Puzzleteil. Bereits heute können ältere Menschen dank Notrufanlagen – teilweise integriert in Mobiltelefone – darauf zählen, in heiklen Situationen rechtzeitig Hilfe zu erhalten. Ergänzt werden solche Systeme in Zukunft durch die laufende Überwachung der wichtigsten Gesundheitswerte. Das Smartphone ermöglicht permanente Gesundheitschecks und übermittelt die Daten laufend zum Hausarzt, der in einem Netzwerk von Spezialisten zusammengeschlossen ist. Gesundheitliche Veränderungen werden so rasch entdeckt und können behandelt werden – ohne dass regelmässige Arztbesuche nötig sind. Die eigenen vier Wände bleiben damit länger die ideale Umgebung, um sicher und gesund zu leben.

Und natürlich auch zur Energieeffizienz:

In Zukunft wird der Strommix, der an den europäischen Märkten angeboten wird, anders aussehen als heute. Die schwankenden Strommengen aus Wind und Sonne werden die Stabilität der Netzinfrastrukturen herausfordern. Mit einem konsequenten Einsatz von ICT-gesteuerten Smart-Grid-Lösungen wird die Schweiz diese Probleme meistern können, selbst wenn der Strombedarf durch die steigende Bevölkerungszahl weiter zunehmen wird. Dank ICT werden Elektrizitätserzeuger und -verbraucher permanent mit dem Netz kommunizieren. So schalten sich beispielsweise Verbraucher wie Kühlhäuser, Gefrierschränke und Wärmepumpen automatisch ein und aus, damit die Last geglättet und so die Kapazität des Netzes besser ausgenutzt wird. Dank der grossen Pumpspeicherkraftwerke bleibt die Schweiz eine Batterie innerhalb von Europa. Nur erfolgt die Lastverschiebung nicht mehr wie heute zwischen Tag und Nacht, sondern abhängig vom aktuellen Stromangebot aus erneuerbaren Quellen. Ein zunehmender Anteil marktfähiger dezentraler Energieerzeuger und -speicher wird in Zukunft für einen wesentlichen Beitrag in der Energielandschaft besorgt sein. Dank ICT-gesteuerten intelligenten Netzen und Handelssystemen können die Schwankungen in der Produktion – je nachdem, ob gerade die Sonne scheint oder der Wind bläst – ausgeglichen und die dezentralen Produzenten und Speicher optimal in die bestehende Netzinfrastruktur integriert werden.

Selbstkritik fehlt in dem Werbeprospekt völlig. IT ist immer nur Lösung. Umweltverschmutzung und Energieverschwendung bei Produktion, Gebrauch und Entsorgung von Computern beispielsweise scheint es (in dieser Welt) nicht (mehr) zu geben.

Die Visionen gipfeln im weiteren Verlauf des Textes in konkrete politische Forderungen, wie nach:

  • elektronischen Patientendossiers und Patientenregister
  • individueller Stärkung der Eigenverantwortung und Gesundheitskompetenz durch Prämienanreize für die Versicherten
  • vereinfachten Antennenbewilligungsverfahren
  • Angleichen der Strahlengrenzwerte an das europäische Mittel
  • Verkauf der Swisscom
  • Ticketing-Karte mit RFID-Chip

Wer möchte in dieser Welt leben? Oder bin ich bereits hoffnungslos konservativ? Und technikfeindlich? Oder kann von Wirtschaftsverbänden nicht mehr erwartet werden?