Digitale Gesellschaft fordert eine Verankerung der Netzneutralität auf Gesetzesstufe

Das Internet ist ein Abbild unserer Gesellschaft und genau so vielfältig: Kommerzielle Transaktionen finden neben politischen Diskussionen statt. Meinungen werden gebildet und verbreitet. Kontakte werden geknüpft. Inhalte werden konsumiert. Auch Bund, Kantone und Gemeinden sind bestrebt, immer mehr Dienstleistungen über das Internet anzubieten – Stichwort «E-Government». Und auch für den gerne zitierten Rohstoff «Bildung» – für Forschung und Entwicklung – ist das Internet essenziell.

Das Internet ist nicht nur Konsumgut mit Konsumenten auf der einen Seite und Inhalte/Produkte-Anbieter auf der anderen Seite. Das Internet ist vielmehr die Infrastruktur, die das Rückgrat einer modernen Informationsgesellschaft bildet. Es fördert Teilhabe und Demokratie. Die Provider ermöglichen einer breiten Bevölkerung den Zugang zum Internet und stellen wichtige Dienste bereit. Die Anbieter haben daher eine ganz entscheidende Funktion.

Provider und Bezahlung

Für die Diskussion über Netzneutralität lohnt es sich, die verschiedenen Provider und ihre Funktionen zu vergegenwärtigen:

Auf der Konsumenten-Seite (bspw. eines Video-Streams) sind dies (leicht vereinfacht):

  • Ein Breitbandanbieter, dem die letzte Meile zum Kunden gehört («Naked DSL», Glasfaser, Cable, Mobilfunk-Infrastruktur)
  • Ein Internetzugangsanbieter, der für die IP-Verbindung sorgt und oft auch gleichzeitig der Breitbandanbieter ist
  • Ein oder mehrere Transit-Anbieter, welche die Internetzugangsanbieter der Internetzugangsanbieter sind und letztlich das Internet-Rückgrat bilden.

Auf der anderen Seite gibt es:

  • Den Dienstanbieter wie beispielsweise Youtube oder Zattoo
  • Ebenfalls einen Internetzugangsanbieter
  • Wiederum einen oder mehrere Transit-Anbieter
Internet Connectivity Access layer
Grafik: Wikipedia

Auf beiden Seiten bezahlt der Kunde (also der/die KonsumentIn respektive der Dienstanbieter) seinen Internetzugangsanbieter (und den Breitbandanbieter) und dieser wiederum seine(n) Transit-Anbieter. Dies ist ein faires und transparentes Modell.

Verletzung der Netzneutralität – und konsequente Lösung

In letzter Zeit wurden einige, speziell im Mobilfunk-Bereich, «kreative» Geschäftsmodelle ausprobiert, welche die Netzneutralität klar verletzen. Diese müssen deshalb staatlich reguliert werden.

Vertikale Integration und Behinderung von Konkurrenten

Manche Access-Provider sind nicht nur Breitband- und Zugangs-Anbieter, sondern zusätzlich auch Dienst-Anbieter und in kleinerem Masse auch Transfer-Anbieter. Für solche Access-Provider entsteht ein Anreiz, die eigene Produkte und Services gegenüber denjenigen anderer Provider bevorzugt zu behandeln. Beispiele sind Kombiprodukte, wie Internet und TV oder Telefon versus Youtube und «Voice-over-IP» – oder gar ein VoIP-Verbot in Mobilfunk-Netzen, wie von Sunrise praktiziert.

Zweiseitiger Markt

Wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung eines Vertragspartners bevorzugt behandelt wird, entsteht ein zweiseitiger Markt. Hier besteht beispielsweise eine Vereinbarung zwischen Zattoo und Orange für einen «Managed Service», damit der Traffic im Surf-Abo für die Kunden «inklusive» ist und nicht wie bei allen anderen Anbietern vom Guthaben abgezogen wird. Treiber für den Netzausbau sind dann plötzlich nicht mehr Qualität und Verfügbarkeit aller Internet-Produkte und -Dienstleistungen für die Abonnenten. Wichtig ist, dass die Inhalte von Vertragspartnern in genügender Qualität beim Endkunden verfügbar sind.

Konsequente Lösung

Eine konsequente Lösung wäre, den Betrieb und Ausbau einer Basisinfrastruktur an unabhängig operierende Netzbetreiber auszulagern: Wie der Personentransport, die Post und andere Infrastrukturen, sollte die letzte Meile als Grundversorgung betrachtet werden. Als diese müsste sie von der Allgemeinheit finanziert und vom Endkunden bezahlt werden – und sich nicht an den Eigeninteressen von einem (oder mehreren) Diensteanbieter(n) orientieren.

Eine solche Auslegung erscheint zum heutigen Zeitpunkt aber kaum mehrheitsfähig. Ausserdem bliebe auch damit eine Diskriminierung respektive Priorisierung von Diensten und Anwendungen durch Internetzugangs-Anbieter möglich. Es ist deshalb wichtig, Rahmenbedingungen vorzugeben, die einen fairen Konkurrenzkampf zwischen den Providern auf Basis einer festgeschriebenen Netzneutralität ermöglichen.

Angeblicher Datenstau auf der letzten Meile…

Gemäss der Argumentation der (eigentlich:) Breitbandanbieter sollen sich die Dienstanbieter am Ausbau respektive der Beanspruchung der letzten Meile beteiligen. Diese Argumentation erscheint absurd, da das Anbieten der letzten Meile gerade das eigentliche Geschäftsmodell der Breitbandanbieter (oder Mobilfunkanbieter) ist oder sein sollte. Guten Content ermöglichen hier erst den Verkauf von Abonnementen für den Internet-Zugang.

Die letzte Meile wird von den Diensten unterschiedslos verwendet und geteilt. 10 Mbit/s-«Swisscom TV» benötigt den gleichen Ausbaustand wie der entsprechende 10 Mbits/- Stream von Wilmaa. Solange die Kapazität ausreicht, fallen auf der letzten Meile keine zusätzlichen Kosten für den Breitbandanbieter an. Erst wenn neue Leitungen gelegt oder Mobilfunkmasten gebaut werden müssen, sind Investitionen nötig.

Aus Sicht der Digitalen Gesellschaft kann eine Überbuchung – da auch im Sinne der Kunden – sinnvoll sein: Falls und solange die Leitung aus physikalischen Bedingungen beispielsweise nur 20 Mbit/s übertragen kann, können beim Schauen von Swisscom TV die dafür benötigten 10 Mbit/s reserviert/priorisiert werden. Beim Abschluss muss dies den Abonnenten aber bekannt sein.

Hingegen darf bestimmter Traffic nicht von der Zählung und Drosselung beim Erreichen eines bestimmten Volumens ausgenommen sein.

Falls darüber hinaus eine Priorisierung notwendig ist, muss diese durch die Kunden gesteuert werden können. Zum Beispiel direkt am Modem oder Router. Die Kriterien der Kunden zur QoS müssen massgeblich sein.

 … und zwischen den Netzen

Im Backbone-Netz und an den Übergängen lassen sich Transfer-Kosten vermeiden, indem mit den entsprechenden Content-Anbietern (resp. deren Providern) Peerings eingegangen oder Caching-Server installiert werden. Am SwissIX tauschen 120 Provider und Firmen – darunter auch Google – gegenseitig Traffic aus. Einen grossen Teil der Daten dürfte also bereits direkt, kostenneutral und in genügender Bandbreite ausgetauscht werden.

Voraussetzung dafür ist eine offene Peering-Policy. Eine einseitige Bandbreitenlimitierung, wie sie von Swisscom gegenüber Init7 angewandt wurde, widerspricht diesem Prinzip. Glücklicherweise hat das Bundesverwaltungsgericht diesen Zustand kürzlich korrigiert.

Eine Zulassung von Güteklassen – das heisst Priorisierung oder Blockierung – für einzelne Protokolle und Diensttypen darf hingegen nicht zulässig sein. Damit würde der Marktzugang für neue Ideen erschwert oder gar verunmöglicht. Wo würden Skype, Youtube und Spotify heute stehen, wenn bei deren Entstehung kein neutrales Netz zur Verfügung gestanden hätte und solche Anbieter zuerst weltweit mit den Breitband- und Zugangsprovidern hätten verhandeln müssen?

In Ausnahmesituationen – jedoch nicht bei einer dauerhaften oder regelmässigen Überbuchung der Kapazitäten – kann eine Priorisierung zur Qualitätssicherung resp. Gewährleistung eines funktionierenden Netzes sinnvoll sein. Die Eingriffe müssen jedoch nachvollziehbar und im Interessen der Abonnenten sein. Deep Packet Inspection (DPI) zur Diskriminierung von Diensten oder Überwachung der Nutzer darf hingegen nicht zulässig sein.

Freie Wahl von Endgeräten und vom Verwendungszweck

Dabei ist nicht allein die Gleichbehandlung aller IP-basierten Dienste durch die Provider wichtig. Ebenso wichtig ist, dass die Kunden selber wählen können, welche Geräte und welche Software sie zum Aufbau der Verbindung zum Provider oder zur Kommunikation einsetzen. Eine freie Modem- oder Routerwahl muss möglich bleiben. Es darf keinen Modem- oder Routerzwang durch die Anbieter geben.

Zusätzlich darf – solange es sich um IP-Traffic handelt – der Verwendungszweck eines Internet-Zugangs nicht per AGB eingeschränkt werden: Voice-over-IP, Tethering oder auch Peer-to-Peer-Kommunikation dürfen nicht von der Verwendung ausgeschlossen sein.

Fazit

Die Digitale Gesellschaft fordert aus den dargelegten Gründen eine Verankerung der Netzneutralität auf Gesetzesstufe. Eine solche Verankerung beinhaltet die Festschreibung des Ende-zu-Ende-Prinzips, das gewährleistet, dass die Nutzer an den Enden der Kommunikation entscheiden können, mit welcher Hard- und Software und mit welchen Diensten und Protokollen sie kommunizieren. Die Provider stellen sicher, dass alle Datenpakete unabhängig von Inhalt, Dienst, Protokoll, Anwendung, Herkunft oder Ziel grundsätzlich gleich behandelt werden.

Die Details könnten grundsätzlich einer Selbstregulierung durch die Provider mit wirksamer Aufsicht des BAKOM übertragen werden. Gesetzlich verankert werden muss jedoch der Grundsatz, dass eine Diskriminierung verboten ist. Wo technisch heute noch notwendig – aufgrund schmalbandiger letzter Meile und Überbuchung durch TV & Internet – kann eine Priorisierung noch ausnahmsweise sinnvoll sein. Diese muss aber a) sachlich notwendig und b) transparent für den Abonnenten sein.