In der letzten Woche hat die Bundeskanzlei bekanntgegeben, dass zweidrittel der Gesuche für E-Voting zur Nationalratswahl 2015 abgelehnt worden sind. Dies betrifft sämtliche Gesuche des «Consortiums Vote électronique» der Kantone Zürich, Glarus, Freiburg, Solothurn, Schaffhausen, St. Gallen, Graubünden, Aargau und Thurgau. Der Grund für die Ablehnung ist eine bei einer Sicherheitsprüfung entdeckten Lücke, welche das Stimmgeheimnis gefährdet. Zudem genügt das System nicht sämtlichen Anforderungen aus der Verordnung über die elektronische Stimmabgabe, welche seit dem 1. Juli 2015 erfüllt sein müssen.
Obwohl die Anforderungen klar und der Entscheid entsprechend nachvollziehbar ist, folgte anstatt einer kritischen Betrachtung ein Aufschrei. Unter dem Titel «Bundesrat lehnt Einsatz von E-Voting bei Nationalratswahlen ab» beklagten die Kantone Aargau und Graubünden einen «deutlichen Rückschlag»:
Nach der Roadmap des Bundesrates hätte sich an den diesjährigen Nationalratswahlen mindestens die Hälfte der Kantone beteiligen sollen. Diese Zahl wäre erreicht worden, wenn das Consortium die notwendige Bewilligung vom Bundesrat erhalten hätte. Die Roadmap des Bundesrates kann mit der Ablehnung der Gesuche nicht eingehalten werden. Der Einsatz von Vote électronique als flächendeckender moderner dritter Weg der Stimmabgabe in der Schweiz wird mit dem Entscheid des Bundesrates verzögert.
Ebenfalls zeigte sich die Auslandschweizer-Organisation ASO gemäss Bericht der NZZ «bestürzt» und konstatierte einen «harten Rückschlag». An deren Kongress einige Tage später unterstrich Bundesrätin Doris Leuthard jedoch, «die Zeit der Pilotprojekte laufe ab»:
Der Bundesrat unterstütze die elektronische Abstimmung für sämtliche Bürger. Das System müsse aber risikofrei sein. Das Stimmgeheimnis sei in der Verfassung verankert. Die Bevölkerung müsse den Behörden in diesem Punkt vertrauen können.
Ein wichtiges Detail an die Anforderungen geht dabei leider vergessen; einen Schritt zurück würde der hitzigen Diskussion gut tun:
Mit dem dritten Bericht des Bundesrates zu Vote électronique hatten die KritikerInnen Mitte 2013 Recht erhalten. Der Bericht stützte sich auf die umfangreiche Studie zu verifizierbaren Vote électronique-Systemen der Berner Fachhochschule und misst die Anforderungen an die Verifizierbarkeit von zukünftigen Wahlsystemen neu an drei entscheidenden Fragen:
- Wurde die Stimme gemäss Absicht abgegeben («cast-as-intended»)?
- Wurde die Stimme im Sinn ihrer Abgabe abgelegt («recorded-as-cast»)?
- Wurde die Stimme im Sinn ihrer Ablage gezählt («counted-as-recorded»)?
Die nun eingesetzten Systeme der sogenannten zweiten Generation wurden dahingehend erweitert, dass die Anforderung auf die erste Frage nach der «verifizierbaren Absicht» erfüllt ist. Damit wird das «Problem der unsicheren Plattform» (der potentiell unsicheren Computer der Stimmenden) adressiert. Eine solche Erweiterung war relativ einfach zu realisieren.
Die nötige, durchgängige Verifizierbarkeit wird jedoch erst erreicht, wenn auch die beiden anderen Fragen beantwortet werden können. Der Bundesrat hat dazu eine entsprechende Grenze festgelegt: Es dürfen erst mehr als 50% der Wahlberechtigten zur Online-Abgabe ihrer Stimme freigegeben werden, wenn die Systeme eine durchgängige Verifizierbarkeit bieten.
Eine durchgängige Verifizierbarkeit lässt sich aber nicht einfach hinzufügen. Sie erfordert eine komplett eigene Systemarchitektur: Komplexe Verfahren garantieren gleichzeitig das Stimmgeheimnis und schliessen die Mehrfachabgabe einer Stimme und die Manipulation des Systems (auch durch den Betreiber selbst) aus. Die E-Voting Group der Berner Fachhochschule hat Konzepte vorgestellt und einen Prototypen entwickelt. In der Theorie wäre ein solches System und damit eine Wahl durchgängig verifizierbar. Bei einem weiteren wichtigen Kriterium dürfte es jedoch durchfallen: Benutzerfreundlich und Nachvollziehbarkeit ohne Spezialwissen.
Der Grosse Rat vom Kanton Aargau hat Ende 2013 zuerst einen Kredit über 1’139’000.- CHF zur Weiterentwicklung von Vote électronique (Ausbau zur «verifizierbaren Absicht») abgelehnt. Eine Woche später nach Rückkommensantrag jedoch zugestimmt. KritikerInnen hatten im Parlament eindringlich davor gewarnt (Wortprotokoll, Seite 16; PDF), Geld in ein totes Pferd zu investieren und nicht konsequent den Weg des Bundesrates zu verfolgen. Gut möglich also, dass uns das richtige Wehklagen erst noch bevorsteht.