Eröffnung Vernehmlassung zur Plattformregulierung

Plattformregulierung: Der späte und zahme Aufbruch des Bundesrats

Der Bundesrat gibt endlich die Vorlage zur Regulierung von Kommunikations­plattformen und Suchmaschinen in die Vernehmlassung. Ein erster Blick in die Vorlage zeigt, dass sie wichtige Fortschritte wie Moderations- und Beschwerdeverfahren oder Zustelldomizile bringt. Sie ist in vielen Punkten aber zu zahm; so bei der Regulierung der Werbung auf Plattformen sowie bei Massnahmen gegen gesamtgesellschaftliche Risiken. Auch die Herausforderungen bei Suchmaschinen sind nicht genügend adressiert.

Endlich hat der Bundesrat die Plattformregulierung aus der Schublade geholt. Er legt das «Bundesgesetz über die Kommunikationsplattformen und Suchmaschinen» (KomPG) bis im Februar zur Vernehmlassung vor. Wir schildern hier die Eindrücke nach dem ersten Lesen der Vorlage und werfen einige wichtige Fragen und Punkte auf – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Eine vertiefende Vernehmlassungsantwort wird der Gegenstand der nächsten Monate sein.

Eine wichtige Vorlage – besser spät als nie

Alleine die Tatsache, dass das Gesetz nun endlich zur Vernehmlassung vorliegt, ist ein wichtiger Schritt. Auch wenn er viel zu spät kommt. Seit Jahren war die Plattformregulierung – und damit die Rechte der Nutzer:innen im digitalen öffentlichen Raum wie auch die Risiken der Plattformen für die Gesamtgesellschaft – der Spielball von Verzögerungspolitik und Wirtschaftsinteressen im Bundesrat. Aber: Besser spät als nie.

Aus der Vorlage lässt sich die Bemühung herauslesen, sorgfältig konzipierte Moderations-, Beschwerde- und Streitschlichtungsverfahren für die Nutzer:innen aufzubauen, die sich gegenseitig auch nicht ausschliessen. So sind verschiedene Wege in unterschiedlicher Flughöhe gewährleistet, wie sich Nutzer:innen für ihre Rechte einsetzen können. Die mehrfach erwähnte Befürchtung, es könnte zu einem «Overblocking» (die Plattformen sperren zu viele Inhalte) kommen, muss die Vorlage immer wieder mit einem besseren Schutz der Nutzer:innen vor Verleumdungen, Drohungen oder Diskriminierung abwiegen. Wir begrüssen, dass der Bund diese delikate Aufgabe mit der nötigen Sorgfalt angegangen ist.

Wichtig ist, dass der Bund endlich die seit 2019 (!) überwiesene Forderung umsetzt, dass grosse Plattformen eine Rechtsvertretung (Zustelldomizil) in der Schweiz bezeichnen müssen (auch wenn der Vorstoss dies eigentlich bereits ab 200’000 Nutzenden vorsah). Das Zustelldomizil schafft den «Briefkasten», der es Nutzer:innen und weiteren Anspruchsgruppen ermöglicht, überhaupt einen Kontaktpunkt zu den Plattformen im eigenen Rechtsstaat zu haben. Dies baut grosse Hürden ab und ist die Grundlage, um die eigentlich vorhandenen Rechte auch online geltend zu machen und Gesetze durchzusetzen.

Gesetzesentwurf passt wenig zu Herausforderungen bei Suchmaschinen

Wie der Titel sagt, will die das neue Gesetz gleichzeitig Kommunikationsplattformen («Social Media») wie auch Suchmaschinen regulieren. Es stellt sich aber die legitime Frage: Wieso diese zwei doch sehr unterschiedlichen Dienste über den gleichen Leisten schlagen und mit denselben Paragraphen regulieren? Die Frage drängt sich noch stärker auf, da die Vorlage in verschiedenen Punkten unpassend auf die Problematiken und Funktionsweisen von Suchmaschinen wirkt. Beispielsweise in den Bereichen Definition der Nutzer:innen, Moderation, Transparenz Empfehlungssysteme (Algorithmen) und gesamtgesellschaftliche Auswirkungen.

Kommt hinzu: Wenn die Suchmaschinen reguliert werden sollen, so müssen zwingend auch die KI-Chatbots Teil der Vorlage sein. Sie sind gerade daran, die Online-Suche komplett zu verändern bzw. sogar zu übernehmen. Eine Regulierungsgrundlage für Suchmaschinen muss zwingend so gestaltet sein, dass KI-Chatbots als neuartige Suchmaschinen bzw. Informationsquellen zur Meinungsbildung darunter fallen. Wir werden ernsthaft die Frage stellen, ob eine separierte Vorlage für Suchmaschinen nicht geeigneter ist, die Herausforderungen bezüglich der Rechte der Nutzer:innen und Auswirkungen auf die Gesellschaft zu adressieren. 

Die Abgrenzung der zu regulierenden Dienste stellt sich auch sonst als grosse Herausforderung heraus. Bezüglich der Definition muss geprüft werden, ob nicht auch Hosting-Dienste wie WordPress.com unter die Definition des Gesetzes fallen. Bezüglich Grösse der Dienste: Die Nutzendenzahl von 10 % der Bevölkerung scheint per se eine sinnvolle Zahl und auch eine ähnliche Grössenordnung wie die EU. Allerdings haben auch kleinere Plattformen eine relevante Wirkung, wenn man Risiken für Nutzende und Gesellschaft adressieren will. Positiv zu werten ist die breit gefasste Definition von «Nutzer:in» – auch für Kommunikationsplattformen. Es zählt als Nutzer:in bereits eine Person, welche auf eine Social-Media-Plattform zugreift und dort Inhalte einsehen kann, auch wenn sie oder er kein Konto besitzt. Dies verändert die Grössenordnung von offene(re)n Plattformen wie beispielsweise Bluesky.

Für die regulierten Online-Dienste sieht das Gesetz eine Palette an Sanktionen vor, falls sie gegen die Vorschriften verstossen. Ultima ratio ist es möglich, den Zugang zu Plattformen zu sperren. Die Vorlage erläutert nicht, wie dies umgesetzt würde. Netzsperren wären ein naheliegendes Instrument dafür – welche aber wiederum eine unverhältnismässige Einschränkung der Grundrechte der Nutzer:innen im Internet bedeuten, einfach zu umgehen sind und technisch zu Kollateralschäden führen. Für uns ist klar: Das Gesetz muss vorgeben, dass diese Sanktion nicht mit Netzsperren umgesetzt werden darf.

Einschränkungen für invasive Werbung fehlen

Viel zu zahnlos bleibt die Regulierung der Werbung. Die Digitale Gesellschaft setzt sich dafür ein, dass Werbung, die auf Profiling beruht, auf Plattformen und Suchdiensten eingeschränkt wird. Insbesondere die Werbung auf der Basis von Profiling mit besonders schützenswerten Personendaten ist eine Gefahr für die Integrität der Nutzer:innen. Auch sollte es besonders strenge Vorschriften für Werbung geben, die Jugendliche ausgespielt erhalten. Die Vorlage adressiert diese beiden Bereiche überhaupt nicht, sondern beschränkt sich auf Transparenz-Vorschriften. Aber auch in diesem Punkt bleibt die Vorlage auf halber Strecke stehen und schafft keine Transparenz über die Auftraggeber:innen von Werbung und woher die finanziellen Mittel dafür stammen. Das wollen wir ändern: Es muss für die Nutzer:innen einsehbar sein, wer eine Werbung bezahlt hat – das ist zentral für die Meinungsbildung. Insgesamt muss der Bundesrat den Abschnitt bezüglich Werbung auf Plattformen und Suchdiensten ausbauen und strenger formulieren.

Risikobewertung bleibt zahnlos ohne Massnahmen

Besonders zentral in der Vorlage ist auch der Teil der gesamtgesellschaftlichen Risikobewertung. Mit dieser sollen Dienste ihre Gesamtwirkung auf die Gesellschaft evaluieren und schädliche Auswirkungen bekämpfen. Leider ist der zweite Teil – die Pflicht zu Risikominderungsmassnahmen – freiwillig. Dies macht die Risikobewertung interessant, aber für das Ziel einer demokratischen und sicheren Gesellschaften zahnlos. Konkret: Social-Media-Plattformen werden evaluieren, dass ihre Wirkung auf die psychische Gesundheit negativ ist. Aber niemand kann sie zwingen, etwas dagegen zu unternehmen. Wir werden zudem einen genauen Blick darauf werfen, ob die im Gesetz erwähnten Bereiche der systemischen Risiken – Verbreitung von rechtswidrigen Inhalten; Grundrechte Nutzer:innen; negative Folgen für die öffentliche Meinungsbildung, für Wahl- und Abstimmungsprozesse, für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie für die öfffentliche Gesundheit – vollständig ist.

Datenzugang mit möglichst tiefen Hürden ist wichtig

Der Zugang zu Daten ist ein wichtiges Element, das die EU bereits umgesetzt hat. Diese Daten und ihre Analyse ermöglichen es einer Gesellschaft erst, zu wissen, wie Debatten entstehen und verlaufen, wer Einfluss nimmt und wer nicht Teil des öffentlichen Diskurses ist. Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Journalismus als vierte Gewalt können nur mit einem Datenzugang ihren wichtigen Funktionen für die Gesellschaft nachkommen. Die engen Kriterien für zivilgesellschaftliche Organisationen sind aber eine hohe Hürde, sie müssen gesenkt werden. Ebenfalls muss der Journalismus einen Zugang erhalten; dieser fehlt im Entwurf. Wichtig ist auch, dass die Werbung länger als das vorgeschlagene Jahr im Werbearchiv zugänglich ist. Nur so lassen sich über einen einen längeren Zeitraum Kampagnen und die Veränderung der Meinungsbildung beobachten.