Zero-Rating Angebote sind verschwunden – ausser bei Sunrise

Durchbruch im Ausland, Nachsicht in der Schweiz

Am 1. Januar 2021 trat das neue Fernmeldegesetz in Kraft, wodurch Netzneutralität in der Schweiz gesetzlich vorgeschrieben wird. Unter anderem der wirtschaftlichen Diskriminierung, wie sie durch die Mobilfunk-Provider in der Schweiz praktiziert wurde, wird damit ein Riegel geschoben. Nach Anzeigen der Digitalen Gesellschaft verschwanden dann auch alle widerrechtlichen Angebote – bis auf eines.

Mitte Januar haben wir zwei Anzeigen beim Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) eingereicht, weil Salt und Sunrise trotz Einführung der Netzneutralität per 1. Januar 2021 weiterhin sogenannte «Zero-Rating»-Angebote bewarben und damit den Fernmeldegesetzartikel zum offenen Internet verletzten. In diesen Schreiben wiesen wir das BAKOM auch auf die aufgrund dieser Verletzungen möglichen Bussen hin und verlangten, dass die Behörde auf die Einstellung dieser Zuwiderhandlungen hinwirkt. Schliesslich baten wir auch darum, über den weiteren Verlauf und den Ausgang des Verfahrens informiert zu werden.

Nach knapp drei Monaten haben wir die Antwort erhalten, dass die Zuwiderhandlungen eingestellt wurden und man deswegen auch keinen weiteren Handlungsbedarf sehe – sprich keine Bussen ausgesprochen habe. Zwischenzeitlich waren die Zero-Rating Angebote beider Internet-Provider verschwunden.

Leider scheint jedoch die Kulanz des BAKOM mit Nachlässigkeit verwechselt worden zu sein, denn zumindest Sunrise wirbt erneut mit einem Zero-Rating Angebot für Whatsapp (siehe Screenshot). Im Abonnement Mobile basic wird für die Benutzung der Messenger-App der Datenverbrauch nicht belastet, und das in fast allen Ländern Europas. Da die Internetnutzung vor allem im Ausland üblicherweise teuer ist, entsteht dadurch eine erhebliche Kostenersparnis beim Kunden. Obschon auf den ersten Blick vorteilhaft für einige Nutzer:innen, werden andere Anbieter so wirtschaftlich diskriminiert und benachteiligt. Anderen Unternehmen wird so unter anderem der Marktzutritt erschwert, was die Entwicklung des gesamten Marktes beeinträchtigt, wodurch schlussendlich auch den Kund:innen geschadet wird.

Ein langer Weg mit reichlich Gegenwind

Was vor 8 Jahren mit einer Arbeitsgruppe begann, mündete anfangs dieses Jahres in der Änderung des Fernmeldegesetzes und einer gesetzlichen Regelung der Netzneutralität: Die neuen Bestimmungen gehen sogar über diejenigen in der EU hinaus und klären unmissverständlich, dass mit Inkrafttreten des neuen Fernmeldegesetzes (FMG) per 1. Januar 2021 auch Zero-Rating-Angebote widerrechtlich sind: Artikel 12e FMG besagt im Absatz 1 nun, dass Informationen ohne technische oder wirtschaftliche Unterscheidung von Internet-Providern zu übertragen sind, wodurch dem Grundsatz des offenen Internets gesetzlich Rechnung getragen wird.

Schweizer Internet-Provider dürfen also nicht mehr gewisse Anbieter bei der Übertragung von Daten bevorzugen, sondern müssen auf eine solche wirtschaftliche Diskriminierung verzichten. Sie können sich aber weiterhin im Wettbewerb bewegen und Internet-Telefonie oder -Fernsehen anbieten, nur nicht mehr mittels der Benachteiligung Dritter.

Netzneutralität bedeutet eben auch, dass nicht mehr grosse Internet-Provider über Erfolg und Misserfolg von Angeboten im Internet entscheiden, sondern ein freier Marktzutritt die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Schweiz fördert. Die Netzneutralität gesetzlich zu verankern war übrigens auch bitter nötig, denn davor existierte nur gerade eine zweifelhafte Selbstregulierung in der Form eines Verhaltenskodex‹ der grossen Schweizer Internet-Provider, in dem Netzneutralität kein Platz fand und kommerzielle Diskriminierung explizit erlaubt wurde.

Das aktuelle Verhalten von Sunrise scheint umso unverständlicher, zumal sich der Anbieter zusammen mit anderen Organisation gegen eine gesetzliche Regelung der Netzneutralität und insbesondere gegen das Verbot von Zero-Rating gewehrt – und die Streichung der entsprechenden Konkretisierung in der Verordnung verlangt hat. Da sie den Gesetzgebungsprozess aktiv begleiteten, kann dessen Inkrafttreten also nicht überraschend gekommen sein und man hätte um einiges einfacher (nun) rechtswidrige Angebote frühzeitig abbauen können.


Zero-Rating

Der Begriff «Zero-Rating» bezeichnet ein Angebot, bei welchem der aus der Nutzung eines Produktes entstehende Datenverkehr nicht vom verfügbaren Datenvolumen abgezogen wird. Beim aktuellen, rechtswidrigen Angebot von Sunrise kann man beispielsweise so viele Whatsapp-Nachrichten schreiben, wie einem beliebt, ohne sich dabei um die vertraglichen Gigabyte-Beschränkungen Sorgen machen zu müssen. Offensichtlich wird die Konkurrenz von Whatsapp dadurch benachteiligt, was sich negativ auf die Vielfalt im Markt auswirkt und schlussendlich auch den Interessen der Kund:innen zuwiderläuft.

Der Grundsatz der Netzneutralität bedeutet, dass aller Datenverkehr über das Internet gleich behandelt wird: Internet-Zugangsanbieterinnen verhalten sich gegenüber verschiedenen Internetanwendungen, -diensten, -inhalten und an das Internet angeschlossenen Geräten neutral. Netzneutralität sorgt für Wettbewerb zwischen diesen Internetdiensten: Ein für den Wirtschafts- und Innovationsstandort Schweiz wesentliches Element der Netzneutralität ist das «Innovation-without-Permission»-Prinzip. Es besagt, dass jeder das Internet weiterentwickeln und eigene Dienste und Inhalte anbieten kann, ohne dafür mit den Providern zuerst Verhandlungen führen zu müssen. Dieser Grundsatz unterstützt die Wettbewerbsfähigkeit, weil so die Markteintrittsschranken tief gehalten werden und dadurch permanent neue oder verbesserte Internetdienste und Anwendungen um die Gunst der Kunden buhlen können.


Durchbruch auch in der EU

Innerhalb der EU blieb in der Vergangenheit ein nicht gerechtfertigter Ermessensspielraum hinsichtlich Zero-Rating für die nationalen Behörden, denn in der 2016 in Kraft getretenen Verordnung zur Netzneutralität blieben einige unklare Definitionen erhalten. Zur Zeit der Verabschiedung des Gesetzes waren Befürworter der Netzneutralität besorgt, dass Schlupflöcher den Betreibern erlauben würden, mit Praktiken durchzukommen, die bestimmten Datenverkehr gegenüber anderem Datenverkehr priorisieren, und zwar eher aus wirtschaftlichen als aus technischen Gründen.

Zero-Rating war eine besondere Sorge, da es im Gesetz nicht ausdrücklich verboten wurde. Daher schien es, als könnten Provider in der Lage sein, die allgemeine Internetnutzung ihrer Kunden zu blockieren oder zu verlangsamen, sobald sie ihre Datenobergrenzen erreicht haben, während sie bevorzugte Dienste weiterhin ungehindert nutzen konnten, wodurch gleiche Wettbewerbsbedingungen im Internet untergraben würden.

Das erste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Auslegung der Verordnung galt daher als wichtiger Moment für regionale Beobachter der digitalen Rechte – und tatsächlich hat es das Urteil vom September 2020 in sich: Der Gerichtshof der EU hat das Gesetz so interpretiert, dass es die Verwendung von Zero-Rating durch Internetanbieter für rechtswidrig erklärt hat: «Die Anforderungen, die Rechte der Internetnutzer zu schützen und den Verkehr in einer nicht-diskriminierenden Weise zu behandeln, schliessen es aus, dass ein Internetzugangsanbieter bestimmte Anwendungen und Dienste durch Pakete bevorzugt, die es diesen Anwendungen und Diensten ermöglichen, von einem Nulltarif zu profitieren und die Nutzung der anderen Anwendungen und Dienste von Massnahmen abhängig zu machen, die den Verkehr blockieren oder verlangsamen», verlautete der Gerichtshof der Europäischen Union über seine bahnbrechende Auslegung der Verordnung zur Netzneutralität.

Zum Urteil am Europäischen Gerichtshof kam es, nachdem ein ungarisches Gericht in einem Fall um Rat gefragt hatte, in dem es um den Mobilfunkbetreiber Telenor ging, der seinen Kunden Zero-Rating Angebote verkaufte, wodurch die Nutzung bestimmter Anwendungen nicht zum Verbrauch gezählt wurde. Der unbegrenzte Datenverbrauch im Inland für eine Reihe von Apps, darunter Facebook, WhatsApp, Instagram und Twitter, bedeutet, dass konkurrierende Dienste benachteiligt werden, da deren Nutzung nach Aufbrauch des 1-GB-Kontingentes durch eine Drosselung behindert wird. Das ungarische Gericht stellte fest, dass solche Vereinbarungen, die einen «Nulltarif» mit Massnahmen zur Blockierung oder Verlangsamung des Verkehrs im Zusammenhang mit der Nutzung von «Nicht-Nulltarif»-Diensten und -Anwendungen kombinieren, tatsächlich geeignet sind, die Ausübung der Rechte der Endnutzer:innen im Sinne der Verordnung und auf einem erheblichen Teil des Marktes zu beschränken.

Der Europäische Gerichtshof stimmte dieser Einschätzung des ungarischen Gerichts zu und erläuterte in der Pressemitteilung zum Urteil: «Solche Pakete sind geeignet, die Nutzung der begünstigten Anwendungen und Dienste zu erhöhen und dementsprechend die Nutzung der anderen verfügbaren Anwendungen und Dienste zu verringern, wenn man die Massnahmen berücksichtigt, mit denen der Anbieter der Internetzugangsdienste diese Nutzung technisch erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Je grösser die Zahl der Kunden ist, die solche Vereinbarungen abschliessen, desto wahrscheinlicher ist es ausserdem, dass die kumulative Wirkung dieser Vereinbarungen angesichts ihres Umfangs zu einer erheblichen Beschränkung der Ausübung der Rechte der Endnutzer führt oder sogar den Wesensgehalt dieser Rechte untergräbt». Es stellte ausserdem fest, dass Massnahmen, die aus kommerziellen (und nicht aus technischen) Gründen angewendet werden, automatisch als unvereinbar angesehen werden müssen.

Ausblick

Dass auch in der EU nun eine klare Befürwortung der Netzneutralität gilt ist äusserst erfreulich. Dennoch bleibt abzuwarten, ob sich die dortigen Anbieter ebenso uneinsichtig zeigen werden wie die hiesigen. Weshalb Sunrise die Netzneutralität nicht respektieren will, bleibt offen, vor allen Dingen, da sie nach unserer Anzeige zu Beginn des Jahres zwischenzeitlich dazugelernt haben sollten. Eigentlich sollte es nicht nötig sein, dass die Zivilgesellschaft die Durchsetzung von Gesetzesänderungen überwachen muss. Non-Profit-Organisationen sollten ihre wertvolle Zeit nicht mit eigentlich behördlichen Aufsichtsaufgaben verschwenden müssen, sondern sollten sich stattdessen auf das Voranbringen zivilgesellschaftlicher Anliegen konzentrieren können. Obwohl eine gewisse Kulanz des BAKOM nicht unverständlich ist, kann sie angesichts der Mitwirkung der Anbieter im Gesetzgebungsprozess nicht ganz nachvollzogen werden.

Telefonisch wurde uns zugesichert, dass nach unserer Anzeige Zeitpläne erarbeitet wurden, die den Abbau der widerrechtlichen Angebote sowohl für die Unternehmen, als auch für deren Kunden so angenehm wie möglich macht. Schliesslich gäbe es auch einige technische Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Gesetzesänderung zu beachten, aber man habe den Eindruck, der Wille zur Besserung seitens der Provider sei da.

Da der Digitalen Gesellschaft in diesem Aufsichtsverfahren keine Parteistellung zukommt, darf man uns diese Fristen leider nicht mitteilen. Dass das rechtswidrige Factsheet von Sunrise einer neueren Version vom Februar 2021 – sprich nachdem wir bereits Anzeige erstatteten – entspricht, verschlug jedoch auch den Zuständigen vom BAKOM ein wenig die Sprache. Bleibt nur zu hoffen, dass die Behörde die weiterhin bestehende Verletzung der Netzneutralität nicht erneut ohne Konsequenzen durchgehen lässt. Zumindest bewirbt Sunrise ihr Zero-Rating-Angebot nur noch relativ versteckt im besagten Factsheet des Mobile basic Abos und nicht mehr zuvorderst in den Produktdetails. Man scheint also dazulernen, nur eben erstaunlich langsam.