Widerstand der Zivilgesellschaft wirkt

Die SBB verzichten auf die biometrische Kategorisierung zu kommerziellen Zwecken in Schweizer Bahnhöfen

Illustration: Christina Baeriswyl

Die SBB haben heute angekündigt, dass sie beim geplanten neuen Kundenfrequenzmesssystem darauf verzichten werden, Menschen anhand ihrer biometrischen Daten in (unter anderem vom Diskriminierungsrecht geschützte) Kategorien einzuteilen und dies für kommerzielle Zwecke zu nutzen. Die ursprüngliche Ausschreibung wird zu diesem Zweck revidiert. Die SBB beugen sich damit dem Druck der Zivilgesellschaft. In einem offenen Brief fordern bereits über 16’000 Personen von den SBB den Verzicht auf biometrische Kategorisierung und Überwachung. Die beiden federführenden Organisationen hinter dem Brief, AlgorithmWatch CH und die Digitale Gesellschaft, begrüssen die Ankündigung der SBB, betonen aber gleichzeitig, dass sie den Druck aufrechterhalten und den SBB weiterhin genau auf die Finger schauen möchten, damit auch in Zukunft keine Überwachungsmethoden eingesetzt werden, die mit den Grundrechten nicht vereinbar sind.

An einer Medienkonferenz der SBB heute Morgen hat sich CEO Vincent Ducrot zum neuen Kundenfrequenzmesssystem geäussert und angekündigt, dass die SBB dabei auf die Kategorisierung von Menschen nach Grösse, Alter und Geschlecht verzichten werden. Stattdessen beschränken sie sich gemäss heutiger Mitteilung darauf, die Bewegungen der Reisenden und die Personenströme zu erfassen. Die Ausschreibung werde entsprechend angepasst. Das neue Messsystem soll nun erst ab Anfang 2025 – statt wie bislang geplant im Herbst 2023 – eingesetzt werden.

AlgorithmWatch CH und die Digitale Gesellschaft, die den offenen Brief gemeinsam lanciert haben, begrüssen die Ankündigung der SBB. «Der öffentliche Druck von rund 16’000 Menschen hat gewirkt. Dank unserem zivilgesellschaftlichen Widerstand konnten wir die SBB in einem zentralen Aspekt zum Umdenken bewegen», meint Erik Schönenberger, Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft. Dass die SBB auf die biometrische Kategorisierung der Reisenden verzichten möchten, werten die Organisationen als grossen Teilerfolg ihrer Kampagne und als Sieg für die Einhaltung der Grundrechte. 

Gegen das geplante neue Kundenfrequenzmesssystem der SBB, das der K-Tipp Mitte Februar publik machte, regte sich in den letzten Wochen enormer Widerstand. Die SBB beabsichtigten, ab Herbst 2023 in über 50 Bahnhöfen die Bewegungen der Reisenden sowie ihre biometrischen Merkmale wie Grösse, Alter und Geschlecht zu erfassen – unter anderem zu kommerziellen Zwecken.

Die beiden zivilgesellschaftlichen Organisationen AlgorithmWatch CH und die Digitale Gesellschaft lancierten gemeinsam mit anderen Organisationen einen offenen Brief, in dem sie forderten, dass die SBB 1. Klarheit bezüglich der Ausschreibung schaffen, 2. keine Infrastruktur zur biometrischen Identifikation, Verfolgung oder Kategorisierung in Bahnhöfen installieren und 3. von jeglicher Datenerfassung und -bearbeitung im öffentlich zugänglichen Raum absehen, die nicht mit unseren Grundrechten konform ist. Über 16’000 Personen haben in den letzten Wochen den offenen Brief an die SBB unterzeichnet und somit ihr Unbehagen gegenüber der geplanten Massenüberwachung an Schweizer Bahnhöfen ausgedrückt.

Es bleibt Vorsicht geboten

Trotzdem sei die heutige Ankündigung der SBB mit Vorsicht zu geniessen. Zunächst gelte es nun genau zu prüfen, welche Anpassungen in der Ausschreibung tatsächlich vorgenommen werden. Die beiden Organisationen fordern die SBB dazu auf, die Bevölkerung dabei transparent über ihre Pläne zu informieren. So sei etwa weiterhin unklar, in welcher Form Personenströme gemessen werden sollen und ob damit noch immer eine (wenn auch anonymisierte) Verfolgung von einzelnen Personen möglich wird.

«Wir werden den SBB bei ihrem Vorhaben weiterhin genau auf die Finger schauen, damit es nicht zum Einsatz von biometrischen Überwachungssystemen kommt», betont Angela Müller, Leiterin von AlgorithmWatch CH. Eine solche biometrische Überwachung an einem öffentlich zugänglichen Ort ist gemäss Müller nicht mit den Grundrechten vereinbar: «Sie verletzt nicht nur die Privatsphäre, sondern kann Menschen auch davon abschrecken, weitere zentrale Grundrechte wie die Versammlungs- und die Meinungsäusserungsfreiheit wahrzunehmen – und sie kann diskriminierende Auswirkungen haben».

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen werden den Beschaffungsprozess daher weiterhin beobachten. Denn ob die Gefahr einer biometrischen Massenüberwachung gebannt ist, zeigt sich erst mit dem Entscheid, welches Kundenfrequenzmesssystem schlussendlich beschafft wird. Aus diesem Grund werden AlgorithmWatch CH und die Digitale Gesellschaft bis am 22. März weiter Unterschriften für ihren offenen Brief sammeln und diesen im Anschluss den SBB übergeben. Damit wollen sie den Druck der Zivilgesellschaft aufrechterhalten und sicherstellen, dass die SBB keine Infrastruktur zur biometrischen Überwachung an Schweizer Bahnhöfen installieren.