Kabelaufklärung durch Geheimdienst

Digitale Gesellschaft wehrt sich gegen Geheimjustiz am Bundesverwaltungsgericht

Alle Personen in der Schweiz können vom Geheimdienst mit der sogenannten Kabel­aufklärung ohne Anlass und Verdacht überwacht werden. Die Digitale Gesellschaft beschreitet gegen diese Form der Massenüberwachung den Rechtsweg. Im laufenden Verfahren am Bundesverwal­tungsgericht musste der Geheimdienst zum ersten Mal detailliert Stellung nehmen zur Funktionsweise der Kabelaufklärung. Allerdings versucht der Geheimdienst, seine Antworten in weiten Teilen geheim zu halten. Angesichts der Brisanz der wenigen zugänglichen Informationen ist diese Geheimjustiz nicht akzeptabel.

Die sogenannte Kabelaufklärung ist ein wesentlicher Teil der anlasslosen und verdachtsunabhängigen Massenüberwachung durch den Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Mit der Kabelaufklärung kann der Datenverkehr zwischen der Schweiz und dem Rest der Welt umfassend erfasst und überwacht werden. Die Kabelaufklärung wurde 2017 mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) in der Schweiz legalisiert.

Die Digitale Gesellschaft führt Beschwerde gegen diese anlasslose und verdachtsunabhängige Massenüberwachung durch den Geheimdienst. 2019 hatte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer:innen zunächst das Recht auf Beschwerde verweigert. Mit Urteil vom 1. Dezember 2020 zwang das Bundesgericht das Bundesverwaltungsgericht, sich mit der Beschwerde zu befassen. Das Bundesverwaltungsgericht muss prüfen, ob das «System» der Funk- und Kabelaufklärung die Grundrechte der Betroffenen verletzt und – um einen wirksamen Grundrechtsschutz sicherzustellen – in letzter Konsequenz einzustellen ist.

Im laufenden Verfahren am Bundesverwaltungsgericht äusserte sich der Geheimdienst nun zum ersten Mal detailliert zur Funktionsweise der Kabelaufklärung. Allerdings wurden weite Teile der Antworten nicht parteiöffentlich eingereicht, das heisst, sie sollen geheim gehalten werden. Die Antworten müssen für die Beschwerdeführer:innen im Verfahren jedoch nachvollziehbar sein und überprüft werden können, damit eine effektive Beschwerde überhaupt möglich ist. Ansonsten würde es sich um eine Form der Geheimjustiz handeln, was einen elementaren rechtsstaatlichen Grundsatz verletzte und für die Digitale Gesellschaft selbstverständlich inakzeptabel wäre.

Die Geheimhaltung ist auch deshalb brisant, weil der Geheimdienst in einer der wenigen zugänglichen Antworten sogenannte Retrosuchen einräumt. Dieses Eingeständnis stammt vom Zentrum für Elektronische Operationen (ZEO) der Schweizer Armee, das für den Geheimdienst die Massenüberwachung durchführt. Die Retrosuchen bedeuten, dass die Datenströme im Internet nicht allein in Echtzeit nach vordefinierten Stichwörtern durchsucht, sondern auch in einer Datenbank gespeichert werden. Diese Vorratsdatenspeicherung durch den Geheimdienst ermöglicht, die gleichen Datenströme nachträglich erneut zu durchsuchen. Um welche Datenmengen es sich handelt, welche Internet-Verbindungen («Kabel») und welche Telekom-Unternehmen betroffen sind, und wie allfällige Filter funktionieren, liegt bislang völlig im Dunkeln.

«Um dem Anspruch auf rechtliches Gehör und auf effektive Beschwerde zu genügen, müssen diese Informationen offen gelegt werden. Das Anlegen einer Datenbank mit der Kommunikation aller Einwohner:innen der Schweiz ist eine neue Dimension der Massenüberwachung und inakzeptabel», sagt Erik Schönenberger, Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft. «Dies steht auch im Widerspruch zu allen Ausführungen des Geheimdienstes, der sonst immer betont, wie zielgerichtet die Kabelaufklärung sei und dass nur relevante Informationen weiterbearbeitet würden.»

Das Verfahren ist Teil der strategischen Klagen der Digitalen Gesellschaft für Freiheitsrechte in einer digitalen Welt. Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg ist bereits die Beschwerde gegen die Massenüberwachung mittels Vorratsdatenspeicherung gemäss Strafprozessordnung hängig. Auch auf diese umstrittenen Daten, die eigentlich für Strafverfahren gedacht wären, kann der Geheimdienst zugreifen.

Beschwerdeführer:innen der Digitalen Gesellschaft sind Serena Tinari (Recherche-Journalistin), Noëmi Landolt (Journalistin und Buchautorin «Mission Mittelmeer»), Marcel Bosonnet (Rechtsanwalt von Edward Snowden), Andre Meister (netzpolitik.org) sowie Norbert Bollow und Erik Schönenberger (Digitale Gesellschaft).

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