«Durchsetzungsinitiative»

Ein entscheidender Schritt zur Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK

Menschenrechte gelten für alle und überall, offline wie online. Die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK garantiert diese international.

SVP-Website: Here be Dragons
Screenshot: viernullvier

Nach der Ausschaffungsinitiative ist die «Durchsetzungsinitiative» die mittlere von drei Initiativen der SVP: Ihre Anwendung wäre der Auslöser zum Ausstieg aus der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK, da Menschenrechte verletzt würden. Die nachfolgende «Selbstbestimmungsinitiative» hätte dann die zwingende Kündigung der EMRK zur Folge. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist jedoch zentral auch für den Schutz der informationellen Selbstbestimmung in der Schweiz.

Ausschaffungsinitiative

Im November 2010 hat das Schweizer Stimmvolk die Ausschaffungsinitiative angenommen: In die Bundesverfassung wurden damit Art. 121 Abs. 3 bis 6 aufgenommen. Diese bestimmen, dass straffällige Ausländerinnen und Ausländer ausgewiesen und mit einem Einreiseverbot von 5 bis 20 Jahren belegt werden müssen. Der Straftatenkatalog umfasst vorsätzliche Tötung aber auch Einbruchsdelikte und selbst den missbräuchlichen Bezug von Leistungen der Sozialversicherungen.

Der neue Straftatbestand des «Sozialmissbrauchs» wurde, wie von der SVP und vom Stimmvolk gefordert, vom Gesetzgeber in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Stände- und Nationalrat kamen zum Schluss, dass die Umsetzung nicht ohne eine Härtefallklausel mit der Verfassung vereinbar ist. Die Verfassung verlangt, dass Strafen verhältnismässig sind.

«Durchsetzungsinitiative»

Obwohl im Parlament die SVP die stärkste Fraktion bildet und somit massgeblich an der Gestaltung des Gesetzes zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative beteiligt ist, lanciert sie die «Durchsetzungsinitiative» – ohne das Ende des Gesetzgebungsprozesses abzuwarten und dann das Gesetz per fakultativem Referendum zu bekämpfen. Es soll eine Drohkulisse aufgebaut werden, sollte der parlamentarische Prozess nicht exakt im Sinne der SVP enden.

Mit der Annahme der «Durchsetzungsinitiative» würde das Parlament übergangen und weitergehende Bestimmungen würden direkt in der Bundesverfassung verankert. Dieses Vorgehen steht mit den politischen Gepflogenheiten im Widerspruch, die ein wesentlicher Bestandteil der Schweizerischen direkten Demokratie sind.

Mit der «Durchsetzungsinitiative» will die SVP nicht nur ihre Liste mit Bagatelldelikten in die Verfassung aufnehmen. (Eine zweifache Verurteilung innerhalb von 10 Jahren führt zu einer automatischen Ausschaffung.) Sondern sie schreibt auch fest, dass die Bestimmungen der Initiative (in der Bundesverfassung) Vorrang vor dem «nicht zwingenden Völkerrecht» haben.

Die meisten Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK sind dem «nicht zwingenden Völkerrecht» zuzuordnen. Durch die Anwendung der «Durchsetzungsinitiative» würde zwingend vor allem Art. 8 EMRK, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, verletzt.

«Selbstbestimmungsinitiative»

Die dritte Initiative wurde im März 2015 lanciert: Die «Selbstbestimmungsinitiative» verlangt, dass die Bundesverfassung grundsätzlich über dem «nicht zwingenden Völkerrecht» steht. Entsprechende Widersprüche müssten nötigenfalls durch die Kündigung des betreffenden völkerrechtlichen Vertrages gelöst werden.

Mit der «Selbstbestimmungsinitiative» müsste die Europäische Menschenrechtskonvention zwingend gekündigt werden, da nach der Ratifikation der EMRK keine Vorbehalte mehr angebracht werden können. Auch ein Wiedereintritt mit Vorbehalten ist nicht möglich. Die Schweiz wäre mit Weissrussland das einzige europäische Land, das die EMRK nicht ratifiziert hätte.

Auswirkungen für die Schweiz…

Da die Schweiz kein Bundesverfassungsgericht kennt, ist die Europäische Menschenrechtskonvention auch für Schweizerinnen und Schweizer von grosser Bedeutung. Steht ein Gesetz (oder dessen Anwendung) im Widerspruch zur Schweizerischen Bundesverfassung und den international gültigen Menschenrechten, kann nur über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg eine rechtsgültige Klärung erwirkt werden.

…und die informationelle Selbstbestimmung

Die Bundesverfassung sollte den Schutz der Privatsphäre (Art. 13) in der Schweiz garantieren. Eine Beschwerde gegen und die Überprüfung der Vorratsdatenspeicherung – und wohl bald auch der Kabelaufklärung – ist nur im Rahmen der EMRK (Art. 8, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) möglich. Ein Wegfallen der EMRK hat damit auch konkrete, negative Auswirkungen auf den Einsatz für die informationelle Selbstbestimmung.

Fazit

Seit das Stimm- und Wahlrecht für Frauen und die Religionsfreiheit in der Bundesverfassung verankert sind, gilt die EMRK in der Schweiz (1974). Sie ist zu einem wichtigen Bestandteil der Rechte von Schweizerinnen und Schweizer geworden und hat sich für die Überprüfung von Gesetzen bewährt. Ein Austritt aus dieser Rechtssphäre wäre inhaltlich und symbolisch ein grosser Rückschritt für die Schweiz. Damit würden die Rechte von uns allen geschwächt – in einer technologisch, sozial und wirtschaftlich immer stärker vernetzten Welt mit zahlreichen überstaatlichen Akteuren.