Gutachten des EU-Generalanwalts zur Vorratsdatenspeicherung

EuGHAus Irland und Österreich sind zwei Klagen am Gerichtshof der Europäischen Union bezüglich der Verhältnismässigkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) hängig. Aufgrund der berechtigten Fragen des Gerichts zur mündlichen Anhörung wird ein Urteil mit Spannung erwartet. Gestern hat Generalanwalt Pedro Cruz Villalón sein Gutachten – das als Vorentscheid gewertet werden kann – veröffentlicht.

Einige Abschnitte daraus sind hier zusammengetragen.

Zur Schwere des Eingriffs hält das Gutachten u.a. folgendes fest:

Insoweit ist nochmals darauf hinzuweisen, dass es sich bei den fraglichen Daten nicht um personenbezogene Daten im klassischen Wortsinne handelt, die sich auf punktuelle Informationen über die Identität der Personen beziehen, sondern um sozusagen qualifizierte personenbezogene Daten, deren Auswertung es ermöglichen kann, eine ebenso zuverlässige wie erschöpfende Kartografie eines erheblichen Teils der Verhaltensweisen einer Person, die allein ihr Privatleben betreffen, oder gar ein komplettes und genaues Abbild der privaten Identität dieser Person zu erstellen. (74.)

Der Generalanwalt schliesst dann auch mit zwei Empfehlungen:

Im Licht der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des High Court in der Rechtssache C-293/12 und des Verfassungsgerichtshofs in der Rechtssache C-594/12 wie folgt zu beantworten:

1. Die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG ist in vollem Umfang unvereinbar mit Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, da die Einschränkungen der Grundrechtsausübung, die sie aufgrund der durch sie auferlegten Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung enthält, nicht mit unabdingbaren Grundsätzen einhergehen, die für die zur Beschränkung des Zugangs zu den Daten und ihrer Auswertung notwendigen Garantien gelten müssen.

2. Art. 6 der Richtlinie 2006/24 ist mit den Art. 7 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union unvereinbar, soweit er den Mitgliedstaaten vorschreibt, sicherzustellen, dass die in ihrem Art. 5 genannten Daten für die Dauer von bis zu zwei Jahren auf Vorrat gespeichert werden. (159.)

Leider unterlässt es der Gutachter, eine sofortige Aufhebung der Richtlinie zu fordern:

Unter diesen Umständen sind die Wirkungen der Feststellung der Ungültigkeit der Richtlinie 2006/24 auszusetzen, bis der Unionsgesetzgeber die Maßnahmen ergreift, die erforderlich sind, um der festgestellten Ungültigkeit abzuhelfen, wobei diese Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist getroffen werden müssen. (158.)

Und hält auch fest:

Die Richtlinie 2006/24 verfolgt nämlich ein vollkommen legitimes Ziel, das darin besteht, die Verfügbarkeit der erhobenen und auf Vorrat gespeicherten Daten zum Zweck der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten sicherzustellen, und ist unter Berücksichtigung der beschränkten Kontrolle, die der Gerichtshof insoweit ausüben kann, als zur Erreichung dieses Endziels geeignet und – vorbehaltlich der Garantien, mit denen sie versehen sein sollte – sogar erforderlich anzusehen. Insbesondere diese Garantien können die – gewiss recht lange – Liste der auf Vorrat zu speichernden Kategorien von Daten in Art. 5 der Richtlinie 2006/24 rechtfertigen. (136.)

Allerdings:

In diesem Sinne bleibt, sobald als erwiesen angesehen werden kann, dass die Maßnahme als solche legitim und geeignet ist, ihre Erforderlichkeit zu beurteilen und konkret zu prüfen, ob das verfolgte Ziel nicht mit einer die Ausübung der in Rede stehenden Grundrechte weniger beeinträchtigenden Maßnahme erreicht werden könnte. (143.)

Zu befürchten ist, dass eine verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich unzulässig sein könnte – sie je nach konkreter Ausgestaltung (Beschränkung auf 6 Monate; klare Festschreibung des Straftatenkatalogs) gemäss EuGH jedoch wieder erlaubt sein könnte.

Dabei zeigen eigentlich die wenigen Zahlen, die zur Verfügung stehen, dass sie zur Verbrechensbekämpfung nicht nötig und auch eine Vorhaltedauer von 6 oder 12 Monaten unverhältnismässig ist.