Vorratsdatenspeicherung ist für Verbrechensbekämpfung unnötig

«Der österreichische Datenschutzrat hat […] mit grosser Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass der Tatbestand [Stalking] zu einem beliebten Anzeigedelikt geworden und sicherheitspolitisch völlig bedeutungslos sei.»

Vor einigen Tagen hat der CCC ein wissenschaftliches Gutachten zu möglichen Schutzlücken durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung veröffentlicht. Dieses wurde vom renommierten Max-Planck-Institut im Auftrag des deutschen Bundesamtes für Justiz erstellt – und kommt zum Schluss, dass die Vorratsdatenspeicherung für die effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr unnötig ist.

Einiges wurde schon darüber berichtet. Ein paar Punkte und Beobachtungen, speziell auch mit Bezug zur Schweiz, lohnen sich dennoch hier festzuhalten.

Erst kürzlich hat das Bundesgericht die Rasterfahndung in der Mobilkommunikation erlaubt und eine entsprechende Bestimmung in die VÜPF Einzug gehalten. Die Studie hält derartige Antennensuchläufe (Funkzellenabfragen) hingegen als ein ungeeignetes Fahndungsmittel:

Mord- und Mordversuchsfälle […] zeigen allerdings an, dass die Orientierung an Verkehrsdaten nicht nur zur Aufklärung nichts beitragen kann, sondern teilweise wohl auch dazu geeignet ist, die Ermittlungsressourcen in eine wenig ertragreiche Richtung zu lenken. (Seite 92)

Von den Befürwortern der «rückwirkenden Überwachung» wird meist betont, dass ohne Vorratsdatenspeicherung eine Überwachungslücke besteht.

[Und dass sie] insbesondere für die Strafverfolgung und für die Abwehr erheblicher Gefahren im Bereich des Terrorismus und der organisierten Kriminalität sowie in Deliktsfeldern wie der Kinderpornografie von essenzieller Bedeutung sei. […] Betont wird in den im Wesentlichen gleich lautenden Begründungen, dass konspirativ vorgehende Tätergruppen sich zunehmend der neuen Informations-/Kommunikationstechnologien bedienten, ein Argument, das […] jedoch im Kern nichts anderes besagt, als dass Personen, die in kriminellen Netzwerken und illegalen Märkten operieren, das Mobiltelefon, das Internet, Verschlüsselungstechniken in der Übertragung von Daten, eben die moderne Infrastruktur der Kommunikation nutzen. Etwas Anderes wäre auch völlig überraschend. Dass der Drogenhandel im Kilobereich detailliert via E-Mail-Verkehr abgestimmt und Kinderpornografie über Chatrooms im Internet weiter gegeben werde, besagt deshalb nur, dass heute gerade im Zusammenhang mit auf wirtschaftlichen (und anders motivierten) Transaktionen beruhender Kriminalität zusätzliche Informationen entstehen, die für die Aufklärung genutzt werden können. Dass deshalb aber der Zugriff auf Verkehrsdaten der Telekommunikation oder auf die IP-Adressen für die Aufklärung von Straftaten unabdingbar sei, ist damit nicht gesagt. (Seite 93)

Im Bericht werden dann verschiedene Deliktskategorien auf die Aufklärungsquote hin untersucht. Interessant ist z.B., dass im Bereich der Verbreitung und des Besitzes von Kinderpornografie

bei manchmal zehntausenden Tatverdächtigen der Ermittlungsertrag nicht immer überzeugend ausfällt. So führte die nach der Operation „Landslide“ in den USA ausgelöste Aktion „Genesis“ in der Schweiz bei 1550 Verdächtigen bei knapp 1100 Hausdurchsuchungen und der Beschlagnahme von 2000 Computern sowie etwa 35000 Datenträgern zu etwas mehr als 400 Verurteilungen, die überwiegend auf Geldstrafen lauteten. (Seite 116)

Ähnliches gilt auch für Stalking:

Das Delikt des Nachstellens ist durch ein hohes Aufkommen an registrierten Taten und Tatverdächtigen gekennzeichnet sowie durch eine hohe Aufklärungsquote. Dem steht eine sehr kleine Zahl von Abgeurteilten und Verurteilten gegenüber. (Seite 130)

Eine direkte Gegenüberstellung der Aufklärungsquoten in der Schweiz (mit Vorratsdatenspeicherung) und in Deutschland (ohne) aus dem Jahr 2009 zeigt eine ähnliche, in einigen Deliktsbereichen jedoch eine massiv höhere Aufklärungsquote – für Deutschland. (Seite 143)

Vergleich Aufklärungsquote

In Deutschland selber kann zudem keine Veränderung zwischen den Jahren mit und ohne VDS festgestellt werden. Die Schlussfolgerungen sind dann auch eindeutig.

Betrachtet man insbesondere das Jahr 2008, in dem Vorratsdaten grundsätzlich zur Verfügung standen, so kann für keinen der hier untersuchten Deliktsbereiche eine mit der Abfrage zusammenhängende Veränderung der Aufklärungsquote im Hinblick auf das Vorjahr oder den Folgejahren 2009/2010 beobachtet werden.

Im Vergleich der Aufklärungsquoten, die in Deutschland und in der Schweiz im Jahr 2009 erzielt worden sind, lassen sich keine Hinweise darauf ableiten, dass die in der Schweiz seit etwa 10 Jahren praktizierte Vorratsdatenspeicherung zu einer systematisch höheren Aufklärung geführt hätte. (Seite 239)

Bevor also in der Schweiz über eine Ausdehnung der Speicherdauer von 6 auf 12 Monate überhaupt nur nachgedacht werden sollte, gilt es die Nützlichkeit und damit die Verhältnismässigkeit nachzuweisen. Fehlt dieser Nachweis, muss die Vorratsdatenspeicherung als eine unrechtmässige Einschränkung der Grundrechte gelten.