Mehr Überwachung, mehr Sicherheit?

Seit den Terroranschlägen in Paris wird europaweit noch lauter nach mehr Überwachung gerufen, auch in der Schweiz. Dabei ist umstritten, ob Massenüberwachung bei der Terrorbekämpfung überhaupt wirksam ist; Studien zur Vorratsdatenspeicherung verneinen dies gar explizit.

Dieser Gastbeitrag von Patrick Walder wurde zuerst im Politblog vom Tages-Anzeiger veröffentlicht. Patrick ist bei Amnesty International Schweiz zuständig für die Themen Überwachung und Privatsphäre.

Foto: Fortepan, CC BY-SA 3.0
Foto: Fortepan, CC BY-SA 3.0

Wer eine Nadel im Heuhaufen suchen muss, dem ist nicht geholfen, wenn noch mehr Heu auf den Haufen geworfen wird. Dieser oft zitierte Vergleich mit der Fahndung nach potenziellen Terroristen erscheint einleuchtend. Auch die Tatsache, dass viele der Terroristen hinter den Anschlägen in Europa, in den USA, Australien und Kanada jeweils schon früher den Behörden bekannt waren, ist nicht gerade ein überzeugendes Argument für mehr Überwachung.

Dennoch geht der aktuelle Trend klar in diese Richtung, auch im Schweizer Parlament. Aktuell berät der Ständerat das Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF), mit dem die Vorratsdatenspeicherung ausgeweitet werden soll. Neu sollen die Kommunikationsdaten, die von uns allen gesammelt werden, nicht nur der Strafverfolgung zur Verfügung stehen, sondern auch dem Nachrichtendienst des Bundes.

Wer aber Überwachungsmassnahmen vorschlägt, welche die garantierten Grundrechte wie das Recht auf Privatsphäre verletzen, sollte zumindest deren Wirksamkeit nachweisen können, damit die Verhältnismässigkeit gewahrt bleibt. Zwar wird die Einführung neuer Überwachungsmassnahmen jeweils mit Verweis auf die Terrorgefahr begründet. Doch haben in der Schweiz weder die Politik noch die Justiz oder der Nachrichtendienst sachliche Argumente für die Wirksamkeit von Massnahmen wie der Vorratsdatenspeicherung vorgelegt. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn bisher gibt es keine Nachweise dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung zusätzliche Sicherheit schafft. Im Gegenteil, die dazu verfügbaren Studien verneinen jede Wirkung.

Eine vom US-amerikanischen Kongress und Präsident Obama eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission kam im Januar 2014 zum Ergebnis, die jahrelange Überwachung der Telefondaten habe sich im Kampf gegen den Terrorismus als nutzlos erwiesen. «Wir konnten keinen einzigen Fall finden, in dem das Programm zur Aufdeckung eines zuvor unbekannten Terrorplans oder zur Verhinderung von terroristischen Angriffen beigetragen hätte», heisst es im Abschlussbericht der Kommission (PCOLB). Auch konnte kein einziger in die Planung von Anschlägen involvierter Terrorist durch das Programm identifiziert werden.

Dieser vernichtende Befund, der von den US-Nachrichtendiensten übrigens bestätigt wurde, hat immerhin zur ersten Einschränkung von Überwachungsmassnahmen in den USA seit 9/11 geführt. Seit Ende November darf die NSA mit dem Programm Section 215 nicht mehr direkt auf die in den USA gesammelten Telefondaten zugreifen.

Wenn die Vorratsdatenspeicherung zur Verhinderung von Terroranschlägen schon nutzlos ist, dann soll sie wenigstens bei der Aufklärung von bereits begangenen Verbrechen helfen. Zumindest behaupten Staatsanwälte in der Schweiz, dass ein Zugriff auf die Vorratsdaten nötig sei, um Delikte aufzuklären wie Mord, Körperverletzung oder Vergewaltigung, die oft im Affekt begangen werden.

Das erscheint plausibel, ist aber wiederum nicht die ganze Wahrheit. Eine in Deutschland durchgeführte Studie zeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht wirksamer ist als andere Methoden der Strafverfolgung. Das Max-Planck-Institut kommt im Gutachten, das vom Bundesamt für Justiz in Auftrag gegeben worden war, zum Schluss: «Im Vergleich der Aufklärungsquoten, die in Deutschland und in der Schweiz im Jahr 2009 erzielt worden sind, lassen sich keine Hinweise darauf ableiten, dass die in der Schweiz seit etwa 10 Jahren praktizierte Vorratsdatenspeicherung zu einer systematisch höheren Aufklärung geführt hätte.» Auch nach Beiziehung anderer Informationsquellen «ergeben sich keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Schutzmöglichkeiten durch den Wegfall der Vorratsdatenspeicherung reduziert worden wären».

Nicht wirksam, aber mit schädlichen Nebenwirkungen auf die Privatsphäre. Kein vernünftiger Mensch würde ein Medikament einnehmen, das zwar Nebenwirkungen aufweist, dessen Wirkung aber nicht erwiesen ist. Es ist Zeit, dass die Verfechter intrusiver Überwachungsmassnahmen sachliche Argumente dafür vorbringen – und ansonsten unsere Privatsphäre vor unerwünschten Nebenwirkungen schützen.