Geschichten zur Vorratsdatenspeicherung & Überwachung: «Sicher ist sicher» von Marion Zechner

Mitte Dezember wurden die besten Geschichten aus dem Schreibwettbewerb «Vorratsdaten und Überwachung» prämiert. In einer losen Folge werden hier einige Texte veröffentlicht, die alle unter einer CC BY-SA-Lizenz stehen. «Sicher ist sicher» hat es auf den zweiten Platz geschafft. Nochmals herzliche Gratulation.


«Sicher ist sicher» von Marion Zechner

Ratschetatscheratschetatscheratsch.

„Was ist das für ein Lärm, Chef?“

Tiefes Lachen zerschreddert die düstere Halle. Nickl schaut ehrfurchtsvoll zu dem
grauhaarigen Mann mit dem vollen Bart.

„Das!? Das ist alles mein Besitz. Jahrzehnte hat es gedauert, bis ich das alles aufgebaut habe. Aber für die Menschheit ist es eine große Errungenschaft. Die Leute wissen ja gar nicht, welchen Gefahren sie die ganze Zeit ausgesetzt sind. Aber dank mir…“

Er streckt den Zeigefinger in die Luft.

„….muss sich darüber niemand mehr Gedanken machen.“

Auf tausenden Fließbändern rauschen Buchstaben und Zahlen in unterschiedliche Fächer. Millionen, Milliarden. Auf jedem ein Namensschild.

„Aber wozu brauchen Sie das alles?“

„Wozu?“

Der Chef lacht schon wieder, und Nickl kommt sich dumm vor. Vielleicht hätte er sich besser auf das Praktikum vorbereiten sollen.

„Es sind Informationen. Informationen über Menschen. So weiß ich genau, wer wann wo mit wem. Und das, was ich nicht weiß, kann ich davon herleiten.“

„Aber, wenn Sie das alles wissen, dann sind Sie ja so was wie Gott!“

Der Chef schmunzelt und krault sich den Bart.

„Tja…Wir müssen eben auch mit der Zeit gehen.“

„Und wozu brauchen Sie nun die vielen Informationen?“

Der Chef runzelt die Stirn und presst die Augen zusammen, als wollte er überprüfen, ob er es mit einem Schwachsinnigen zu tun hat.

„Na, überhaupt nicht, natürlich!“

„Ja aber -“

Nickl kann nicht anders.

„Wozu sammeln Sie sie denn dann?“

Diesmal bleibt der Chef ernst.

„Komm. Ich werde es dir erklären. Aber zuerst kochst du mir einen Kaffee.“

Nickl werkelt an der Kaffeemaschine herum. Plötzlich ein Knall aus einer hinteren Ecke. Dann noch ein kleiner Knall, als die Kaffeedose auf den Metalltisch trifft. In einer hinteren Ecke ist ein komplettes Regal voller Fächer zusammen gekracht. Dafür wachsen in einer anderen Ecke der Halle zwei neue dazu.

„Was ist denn da passiert?“, ruft Nickl erschüttert.

„Keine Sorge. Da ist nur eine Existenz zusammen gebrochen. Schwarz, zwei Zucker!“

Nickl fällt die leere Tasse in seiner Hand wieder ein. Er füllt sie und lässt zwei weiße Würfel hinein fallen.

„Stell ihn da hin. Danke.“

„Aber das ist doch furchtbar!“, murmelt Nickl, während er die Kaffeetasse auf den Tisch stellt. Der Chef zündet sich eine Zigarre an, kneift die Augen zusammen und schüttelt den Kopf.

„Nein, nein. Halb so schlimm! Schau, wie viele Existenzen es gibt. Dauernd werden es mehr. Und da hat einer auf seine Daten nicht gut aufgepasst. Sie haben sie ihm gestohlen, so ist das halt. Das sind die Mittelständler, die leisten sich nicht so teure Sicherheitsserver, und dann – jajaja – gibt’s alles.“

Nickl schwenkt seine Hand durch die Luft.

„Aber die übrigen Regale hier…“

„Das ist was anderes. Das ist einfach Macht. Macht Menschen erpressbar. Diese Regale…“

Der Chef wendet sich der Halle zu.

„Das sind meine Fäden, an denen die Menschen tanzen. Gold ist out, heute investiert man in Daten. Wer wann wo wie oft mit wem. Das weiß nur, wer richtig anlegt. Der Dax schlägt Purzelbäume. Aber unsere Aktien können nicht einbrechen.“

„Wie können Sie das so sicher wissen?“

„Weil die Angst zeitlos ist, mein Junge. Alle haben Angst. Such dir einen Buchstaben aus!“

Nickl nimmt den ersten, der ihm einfällt.

„Ef.“

Der Chef dreht sich um und drückt einen der vielen roten Knöpfe auf der eisernen Balustrade. Eine Schublade löst sich schwungvoll aus ihrem Regal, fliegt durch die Halle und kracht vor Nickl auf den Tisch. Kaffee spritzt aus der Tasse.

„Du muss den Kaffee auch umrühren, Junge.“

„Hab ich schon gemacht.“

Der Chef schüttelt den Kopf.

„Junge! Du musst wirklich noch viel lernen. Kaffee muss immer umgerührt werden. Der Zucker muss zerfallen.“

Nickl ist verwirrt, nickt aber. Ein bisschen komisch war der neue Chef schon. Aber ihn interessiert jetzt die geheimnisvolle Holzschublade. Er greift erneut den Löffel und taucht ihn in den Kaffee, der noch immer dampft. Das Metall zieht seine Kreise in der hellbraunen Oberfläche, und der Chef nickt zufrieden. Endlich nimmt er die Schublade vom Tisch und hält sie Nickl unter die Nase.

„Bittesehr!“

Nickl schaut in die Schublade, die zu seinem Erstaunen keinen Boden hat sondern nach unten offen ist. Sehr weit entfernt sieht er einen Mann, erst verschwommen, dann immer klarer.

„Soll ich schärfer stellen?“

Das Gesicht des Mannes ist zerknittert wie Butterbrotpapier. Dünnes weißes Haar liegt wie ein Netz auf seiner blanken Kopfhaut. Unter seinem Kinn drei Speckreifen, die gleichmäßig vor sich hin vibrieren.

„Wer ist das?“

„Flipper.“

„Wie der Delphin? Komischer Name.“

„Unsinn!“

Der Chef rollt die Augen.

„Das ist doch nur sein Nickname. Ich kann dir ja schlecht seinen richtigen Namen sagen. Datenschutz!“

„Oh. Ok. Und was ist mit Flipper?“

Nickl hätte gewettet, dass der Mann mit dem Delphinnamen mindestens Mitte 70 war.

„Aber wie kann er hier in Ihrem, äh, Ihrer … Kartei – sein? Er hat doch sicher kein Internet, aus dem man Daten ziehen kann. Er ist so alt wie mein Opa. Und der hat nicht mal ein Handy.“

„Hat der Flipper hat auch nicht!

Der Chef schnippt seine Zigarre, und Asche schneit in die Tiefe.

„Du rührst ja gar nicht mehr!“

Böse starrt er auf den Löffel, den Nickl neben der Tasse abgelegt hat.

„Nickl“, sagt der Chef und kommt so nah an ihn heran, dass er beinahe sein Ohr berührt.

„Wenn du zwei Wochen hier bleiben willst, dann musst du tun, was ich dir sage!“

Das kann nicht sein Ernst sein, denkt Nickl und schaut den Chef erschrocken an. Aber die Falten, die sich über den wässrig-grauen Augen zusammen brauen meinen es Ernst. Nickl nickt, taucht den Löffel wieder in den Kaffee und lässt seine Hand kreisen. Vielleicht ergab sich ja in den nächsten Tagen eine Gelegenheit, zu fragen, was es mit dieser Rührerei auf sich hatte. Der Chef seufzt und die Falten glätten sich wieder.

„Gut. Merk dir: Kaffee muss immer gerührt werden. Das ist deine erste Lektion.“
Schweigen, bis Nickl den Blick senkt. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiund… Endlich holt der Chef Luft.

„Zurück zu Flipper.“

Nickl beugt sich erleichtert über die Schublade. Er merkt gerade noch rechtzeitig, wie seine Hand über der Tasse langsamer wird und beschleunigt sie wieder. Der Chef ist jetzt selbst in die Schublade vertieft.

„Wie gesagt: Kein Handy, kein Internet. Nicht mal ein normales Telefon. Flipper wohnt in Dresden, musst du wissen. Nach der Wende ist er immer misstrauisch geblieben. Zwei Freunde hat er gehabt, und beinahe sogar einen Telefonanschluss.“

Der Mann mit dem Delphinnamen und dem Haarflaum sitzt auf einem Sofa und starrt ins Leere.

„Wieso beinahe?“, fragt Nickl, während er den Alten beobachtet.

„Mmmmh“, macht der Chef und saugt an seiner Zigarre.

„Er hatte sogar schon den Vertrag unterschrieben. Aber immer, wenn er jemanden anrufen wollte, hat er nur ein Tuten gehört. Er hat schon an Tinnitus gedacht, aber seine beiden Freunde haben ihm gesagt, dass sie ihn auch nicht erreichen können und ihm geraten, mal beim Anbieter nach zu fragen.“

„Und?“

„Hat er gemacht. Oder vielmehr: Wollte er machen. Er hat sich durch zwei Computerstimmen durch gearbeitet, bis die dritte ihm gesagt hat, dass zur Serviceverbesserung das Gespräch aufgezeichnet wird. Das wollte er dann nicht, weil er mit Mithörern keine guten Erfahrungen gemacht hat. Das war ́s dann mit dem Telefon.“

„Er sieht recht einsam aus, dieser – Flipper. Warum starrt er denn die ganze Zeit in die Luft? Er könnte doch wenigstens fernsehen.“

Der Chef schüttelt den Kopf.

„Er ist ein bisschen paranoid geworden. Er hat sich geweigert, je wieder irgendwo seine Daten an zu geben. „Sie können mich nicht zwingen“, hat er dem Fernsehanbieter gesagt und ist wutentbrannt aus dem Laden gestürmt. Er hat keine Krankenversicherung, kein Auto, kein Türschild. Er versucht, sich unsichtbar zu machen, weil er nicht will, dass man ihn besitzen kann. Er geht auch nicht mehr aus dem Haus, weil er sich auf Schritt und Tritt verfolgt fühlt.“

Nickl tut der alte Mann leid. Die Muster unter seinen Augen erinnern ihn an eine
Tropfsteinhöhle oder einen überzüchteten Boxer.

„Aber wenigstens hat er noch seine Freunde.“

Der Chef schüttelt den Kopf.

„Hatte. Aber als er ihnen erzählt hat, dass er sich nicht abhören lässt und es die
Telefongesellschaft überhaupt nichts angeht, wann er wen anruft oder angerufen wird, und dass er dann lieber überhaupt nicht mehr telefoniert, da wollten sie ihn zum Arzt bringen, weil sie der Meinung waren, wer sich so verfolgt fühlt, muss irgendwie krank im Kopf sein. Von da an hat er sie nicht mehr in die Wohnung gelassen und ist aus der Krankenversicherung ausgestiegen, bevor ihm wirklich ein Arzt eine Geisteskrankheit bescheinigt und seine Diagnosen dann für alle Zeit hier in seiner Schublade landen. War gar nicht so einfach. Wer einmal in einer Pflichtversicherung eingesperrt ist, entkommt ihr nicht so leicht. Aber wie gesagt: Er ist Profi. Er hat sein Leben damit verbracht, seinen Kopf aus Schlingen zu ziehen.“

Der Chef zuckt die Schultern.

„Hat ihm nichts genützt. Ich hab ihn trotzdem.“

Nickl schaut ihn mit großen Augen an.

„Aber wie können Sie das alles von ihm wissen, wenn er doch seine Daten so gut versteckt?“

„Tja. Es ist wie mit den Gedanken. Alles, was irgendwann einmal gedacht worden ist, wird in dem Moment, wenn der Erste es denkt, zu Wirklichkeit. Alles, was einmal hier drin gelandet ist, geht nie mehr verloren.“

Verrückt, denkt Nickl. Da hat Flipper sich völlig von der Welt isoliert, um unbeobachtet zu leben. Und jetzt sind die gespeicherten Daten sein einziger Kontakt zur Außenwelt. Vielleicht liegt es ja an Flippers schlimmen Vorerfahrungen, denkt Nickl. Der Chef wirft einen strengen Blick auf Nickls Hand, die über der Kaffeetasse beinahe zum Stehen gekommen ist. Nickl rührt weiter.

„Bitte!“, ruft er, gerade als der Chef aufsteht und Luft holt.

„Bitte, zeigen Sie mir noch einen anderen!“

„Gut. Noch einen. Aber dann gehst du an die Arbeit.“

„Gern. – Aber… was genau ist eigentlich meine Arbeit?“

Der Chef schaut Nickl verständnislos an.

„Daten beobachten. Was denn sonst?“

„Aber…“

Nickl steht mit hängenden Schultern da. Ein einfacher, nützlicher Job, hat er gedacht. Aber jetzt versteht er nur noch Bahnhof.

„Entschuldigung – was hat denn das für einen Sinn?“

Langsam beginnt der Chef, zu bereuen. So ein Praktikant würde einem Arbeit abnehmen, hatte es geheißen. Aber dieser hier kostete ihn schon am ersten Tag so viel Zeit und Nerven… Vor allem diese Fragerei. Sinn! Sinn! Was ist der Sinn? Hatten diese jungen Leute zu viel Zeit, oder wie kamen sie sonst dazu, ständig in allen Dingen einen tieferen Sinn zu suchen?

„Na, die vielen Daten müssen natürlich beobachtet werden!“, sagt er unwirsch.

„Und warum?“

Jetzt platzt dem Chef wirklich der Kragen. Er krallt die langen Finger in seinen Bart.

„Warum, Nickl?! Warum sind Schoko-Stückchen im Stracciatella-Eis? Warum tut es weh, wenn man sich mit dem Hammer auf den Daumen haut? Warum, warum, warum? Wie alt bist du denn? Drei? Vier? Es ist so, wie es ist. Die Daten fließen und fließen, du siehst es ja selbst. In jeder Minute Milliarden von Buchstaben auf dreissigtausendzweihundertachtundachzig Fließbändern. Weißt du eigentlich, wie viel Arbeit das war? Wir haben keine Zeit, darüber nach zu grübeln, warum das so ist. Sonst rauschen sie unbeobachtet an uns vorbei in ihre Aktenfächer.“

Und was wäre daran so schlimm?, denkt Nickl, hält aber den Mund, weil der Chef so rot und kurzatmig ist, dass Nickl die Anzeichen für einen bevorstehenden Herzinfarkt aus dem Erste-Hilfe-Kurs einfallen. Als der Chef sich beruhigt hat, drückt er nochmal einen Knopf. Wieder knallt eine Schublade auf den Metalltisch.

„Hier. Bitte. Das ist Ludwig.“

„Wie alt ist er?“

Nickl schätzt den Mann in der Schublade auf maximal dreißig. Aber auch er sitzt auf einem Sofa, das noch zerschlissener aussieht, als das von dem alten Flipper. Es ist erst elf Uhr Vormittag, aber auf dem kleinen Couchtisch stehen zwei Bierflaschen. Zumindest hat Ludwig einen Fernseher und starrt nicht wie Flipper Löcher in die Luft.

„Umrühren!“

Die Stimme des Chefs hallt durch die Stille. Nickl zieht den Kopf ein. Und rührt.

„So ist es gut. Also: Ludwig ist 25“, sagt der Chef und deutet in die Schublade.

„Müsste er nicht in der Arbeit sein?“, fragt Nickl, während seine Hand weiter rührt.

„Oder ist er krank?“

„Nein, ist er nicht.“ Der Chef sieht plötzlich verlegen aus.

„Er hat eine Arbeit gehabt. Aber leider verloren“, sagt er und hängt seinen Blick an einem Stahlträger auf.

„Wieso denn?“

Der Chef seufzt und vertieft sich noch intensiver in die Stahlträgerkonstruktion.

„Sein Name ist auf einer Liste für Terrorverdächtige gelandet. Da hat man ihn gefeuert.“

Nickl ist erleichtert.

„Dann hat die Überwachung ja was gebracht. Aber wenn er ein Terrorist ist, warum sitzt er dann nicht im Gefängnis?“

Der Chef räuspert sich.

„Nun. Es war eine Verwechslung. Selten, aber kommt vor. Ist schwierig, sich wieder zu rehabilitieren, wenn man einmal unter so einem Verdacht gestanden ist.“
Da findet er im Stahlträger endlich einen Lichtblick. Er lächelt Nickl an.

„Aber man muss auch sagen, dass Ludwig von Natur aus ein fauler Hund ist. Du siehst ja selbst. Sitzt da und säuft, keine Spur von irgendeiner Bemühung. Könnte ja auch Bewerbungen schreiben, statt schon am frühen Morgen Hartz-IV-TV zu glotzen. Man muss doch von einem erwachsenen Menschen ein Mindestmaß an Eigenverantwortung erwarten können.“

„Aber er hat doch gar keine Chance!“

Nickl spürt die Hitze in seinem Nacken, wie immer, wenn er wütend wird. Schon das zweite Schicksal, das sich irgendwie ungünstig entwickelt. Zwei Stichproben, war das schon repräsentativ? Nickl kommen langsam Zweifel, ob seine Praktikumsstelle wirklich so großartig ist, wie er sie bei seinen Schulkameraden angepriesen hat. Zwei Wochen in den heiligen Hallen bei einem der mächtigsten Männer der Welt. Wie haben Peter und Jannik ihn beneidet! Jetzt würde er lieber mit ihnen tauschen und in der Bank hinterm Tresen stehen und Ein-Cent-Stücke in Hunderter-Stapel sortieren oder in der Großküche Kartoffeln schälen. Nicht unbedingt deshalb, weil er im Kochtopf ein Têtê-a-têtê mit seinem persönlichen Sinn erwarten würde, aber zumindest hätte er das Gefühl, dass dort auch niemandem einen größerer Schaden zugefügt würde, als maximal vielleicht eine Magen-Darm-Verstimmung, wenn die Pilze oder der Fisch verdorben wären.

„Aber – ich dachte, Sie sind für die Sicherheit zuständig. Deswegen bin ich ja eigentlich hier.“

„Soso. Deswegen bist du also hier.“

„Ja. Ich will das Verbrechen bekämpfen. Deswegen habe ich mich auf den Platz beworben. Und das stand doch auch in der Stellenausschrei…“

„Kleiner Idealist“, murmelt der Chef dazwischen. Seine Ohren glühen rot durch die Düsternis der Halle. Er sieht wütend aus, aber Nickl kann jetzt nicht locker lassen.

„Sie sagen doch selbst, dass es wichtig ist, was Sie hier tun! Sonst hätten Sie doch den ganzen Aufwand gar nicht betrieben! Wo sind denn die gefährlichen Menschen?“

Der Chef hebt die Brauen.

„Ich meine, die Verbrecher. Die, die Kinderpornos verkaufen und Terroranschläge planen und solche Dinge!?“

Der Chef schaut genauso fassungslos drein, wie Nickl sich fühlt.

„Nirgends“, sagt er trocken.

Nickl ist irritiert.

„Aber das müssten doch die größten Regale sein!“

Der lange Zeigefinger des Chefs tickt hin und her.

„Müssten vielleicht“, sagt er leise und seufzt.

„Das ist leider der einzige Schwachpunkt.“

„Aber das wäre doch das Wichtigste!“, platzt es aus Nickl heraus und wirft den Kaffeelöffel auf den Tisch.

„Das Einzige, wofür sich das alles lohnen würde! Die ganzen Opfer, die den Leuten
abgezwungen werden!“

„Abgerungen. Nicht abgezwungen“, sagt der Chef ruhig und wirft Nickl einen strengen Blick zu.

„Und jetzt reiß dich zusammen und rühr weiter!“

Zögernd greift Nickl wieder zum Löffel und taucht ihn zurück in die milchige Brühe, die inzwischen aufgehört hat, zu dampfen und mehr Ähnlichkeit mit einer Pfütze als mit einem Getränk hat.

„Also, was ist mit den Verbrechern?“

Der Chef macht eine wegwerfende Geste.

„Die sind doch nicht blöd! Die wissen doch, dass sie auf Schritt und Tritt überwacht werden. Die lassen sich andere Wege einfallen.“

Der Chef starrt finster in die Halle. Nickl ist sich nicht sicher, ob ihm die Kinderpornographie mehr Kummer bereitet, oder die Tatsache, dass es Dinge gibt, die sich seinem allwissenden Auge entziehen. Der Chef schreitet auf und ab.

„Tja“, sagt er dann.

„Siehst du, deswegen müssen wir künftig noch strengere Überwachungsmethoden anwenden. Nur so können wir sicher stellen, dass es irgendwann auch was bringt.“

„Aber…“

„So! Und jetzt räum den Kaffee wieder weg!“

„Aber – Sie haben ja noch gar nicht getrunken.“

„Natürlich nicht. Ich trinke keinen Kaffee. Aber du bist der Praktikant. Praktikanten kochen Kaffee.“

„Aber wenn Sie ihn doch gar nicht trinken!?“

„Ich koche mir trotzdem jeden morgen welchen. Stell dir vor, ich würde doch mal einen wollen.“

„Aber dann könnten Sie doch immer noch…“

Der Chef steht dicht hinter Nickl und legt die Hände auf seine Schultern.

„Du musst noch viel lernen, Junge. Aber Eines merk dir für dein Leben: Sicher ist sicher.“