Überwachungsgesetz BÜPF

Ausdehnung des Geltungsbereichs gemäss Bundesgericht rechtswidrig

Bild: Bundesgericht in Lausanne

Kurz nach Inkrafttreten des revidierten Überwachungsgesetzes BÜPF hat die zuständige Überwachungsbehörde 2018 den Geltungsbereich nach eigenem Gutdünken ausgedehnt und auch E-Mail- und Messaging-Anbieterinnen als Fernmeldedienst­anbieter­innen eingestuft. Nachdem das Bundesver­waltungsgericht eine entsprechende Verfügung aufgehoben hatte, folgt nun auch das Bundesgericht dem Urteil.

Das totalrevidierte Überwachungsgesetz BÜPF ist im März 2018 in Kraft getreten. Ein wesentliches Element der Revision betraf die Ausdehnung des persönlichen Geltungsbereichs. Standen bis anhin «nur» die Access Provider (FDA) in der Pflicht, Überwachungsmassnahmen vorzunehmen, fallen neu auch reine E-Mail-Anbieterinnen, Hostingprovider, Chatanbieter etc. unter das BÜPF. Dazu wurde eine neue Kategorie von «Anbieterinnen abgeleiteter Kommunikationsdienste» (AAKD) geschaffen.

Bereits einen Monat später, im April 2018, wollte der Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (Dienst ÜPF) den Geltungsbereich weiter ausdehnen. So sollen gemäss einem neuen Merkblatt (PDF) auch E-Mail- und Messaging-Anbieterinnen wie Fernmeldedienste behandelt werden. Diese Definition hätte in der Praxis für die Betroffenen weitreichende Konsequenzen gehabt, da sie damit ihre Benutzer:innen identifizieren mussten und sie eine aktive Überwachungspflicht (inkl. der Vorratsdatenspeicherung) trifft.

Wir haben im Mai und Oktober 2018 ausführlich über die rechtswidrige Uminterpretation des Begriffs der Fernmeldedienste und der Konsequenzen berichtet.

Auf Basis dieser Eigeninterpretation des Begriffs und damit des Geltungsbereichs erging im Dezember 2018 eine Verfügung an die Threema GmbH, worin der Dienst ÜPF die betroffene Unternehmung als FDA einstuft und eine «Echtzeitüberwachung von Randdaten bei Telefonie- und Multimediadiensten» verlangt. Gegen diese Verfügung hat Threema Beschwerde geführt und mit Urteil vom 19. Mai 2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht vollumfänglich Recht erhalten.

Gegen den Entscheid hat der Dienst ÜPF, resp. das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) Beschwerde geführt. Diese Beschwerde wurde nun vom Bundesgericht mit Urteil vom 29. April 2021 abgelehnt. Damit folgt das Bundesgericht in seiner Einschätzung dem Bundesverwaltungsgericht.

Es fällt in diesem Zusammenhang ins Gewicht, dass der Gesetzgeber bei der am 1. März 2018 in Kraft getretenen Totalrevision des BÜPF im Lichte dieses Gesetzeszwecks den Anwendungsbereich des Gesetzes erweiterte, indem er nebst den Fernmeldedienstanbietern (unter anderem) auch die Anbieterinnen abgeleiteter Kommunikationsdienste dem Gesetz unterstellte und letz­tere – wenn auch grundsätzlich in einem geringeren Masse als die Fernmeldedienstanbieter – für mitwirkungspflichtig erklärte (vgl. Bot­schaft zum BÜPF, BBI 2013 2694, siehe dazu ferner Stellungnahme des Bundesrates vom 22. Mai 2019 zur nationalrätlichen Interpellation 19.3267 «Entspricht die Praxis des Dienstes ÜPF hinsichtlich der Pflichten der Anbieterinnen abgeleiteter Kommunikationsdienste dem Gesetz?»). Der ihm bekannt gewesenen Gefahr, dass trotz der Unterstellung der abgeleiteten Kommunikationsdienste unter das Gesetz Überwachungslücken entstehen bzw. verbleiben könnten (vgl. dazu AB S 2014 S. 117), trug der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass er in Art. 22 Abs. 4 und Art. 27 Abs. 3 BÜPF dem Bundesrat die Kompe­tenz übertrug, Anbietern von abgeleiteten Kommunikationsdiensten, welche Dienstleistungen von grosser wirtschaftlicher Bedeutung oder für eine grosse Benutzerschaft anbieten, alle oder einen Teil der Pflichten der Anbieter von Fernmeldediensten aufzuerlegen (vgl. Botschaft zum BÜPF, BBI 2013 2732; zur Umsetzung dieser Regelung auf Verordnungsstufe Art. 22 und Art. 52 der Verordnung vom 15. No­vember 2017 über die Überwachung des Post- und Fernmeldever­kehrs [VÜPF; SR 780.11]).

Urteil 2C_544-2020 vom 29. April 2021, Punkt 5.5

Interessant ist, dass der Bundesrat in der erwähnten Interpellation 19.3267 die Praxis des Dienst ÜPF für rechtmässig erachtete – resp. wohl einfach die Stellungnahme des Dienst ÜPF übernahm und sie so zur eigenen Meinung machte.