Kabelaufklärung

Mutloses Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Massenüberwachung durch den schweizerischen Geheimdienst

Von der Massenüberwachung durch die Kabelaufklärung sind alle Personen in der Schweiz betroffen. Die Digitale Gesellschaft gelangte daher im Rahmen einer strategischen Klage an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses hat nun den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern in einem mutlosen Entscheid das Recht auf Beschwerde abgesprochen. Die Digitale Gesellschaft wird das Urteil an das Schweizerische Bundesgericht weiterziehen, da diese Darstellung offensichtlich nicht zutreffend ist.

Visualisierung KabelaufklärungDie Kabelaufklärung ist ein Teil der anlasslosen und verdachtsunabhängigen Massenüberwachung durch den schweizerischen Geheimdienst. Mit der Kabelaufklärung wird der Datenverkehr zwischen der Schweiz und dem Rest der Welt umfassend erfasst und überwacht.

Die Kabelaufklärung verletzt schwerwiegend das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre, höhlt Berufsgeheimnisse aus und untergräbt den Quellenschutz sowie das Redaktionsgeheimnis. Die Digitale Gesellschaft hatte daher den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) mit dem Inkrafttreten des neuen Nachrichtendienstgesetzes (NDG) aufgefordert, auf die Kabelaufklärung zu verzichten und gelangte anschliessend mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Nun liegt das Urteil vor. Das Bundesverwaltungsgericht spricht den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern das Recht auf Beschwerde ab. Es begründet seine mutlose Haltung damit, dass mit dem datenschutzrechtlichen Auskunftsrecht die Möglichkeit bestehe, die Verletzung von Grundrechten durch den Geheimdienst zu rügen und damit eine «rechtmässige» Überwachung gerichtlich durchzusetzen.

Diese Darstellung ist offensichtlich nicht zutreffend, denn die Massenüberwachung beginnt bereits beim automatisierten Scannen der Datenströme. Dabei wird gerade nicht nur verdächtige Kommunikation beziehungsweise nicht nur die Kommunikation (bereits) verdächtiger Personen erfasst. Es wird im Gegenteil möglichst viel Kommunikation möglichst vieler Personen erfasst, um diese gesamthaft scannen und mit tausenden geheimen Suchbegriffen auswerten zu können. Die Massenüberwachung erfolgt durch das Zentrum für elektronische Operationen (ZEO) der Schweizer Armee, das Treffer an den Geheimdienst weiterreicht.

Die überwachten Personen verfügen gerade nicht über ein Auskunftsrecht, das bereits diese Massenüberwachung umfasst. Ein – beschränktes – Auskunftsrecht besteht lediglich für Daten, die nachträglich in einem geheimdienstlichen Informationssystem abgespeichert werden. Eine solche Speicherung beim Geheimdienst erfolgt erst, nachdem die gescannten Datenströme zu einem Treffer geführt haben und ein solcher Treffer einer Person zugeordnet wurde. In jedem Fall kann die Auskunft aufgeschoben werden und Auskunft wird nur erteilt, «sobald kein Geheimhaltungsinteresse mehr besteht».

Die Kabelaufklärung betrifft alle Menschen in der Schweiz und viele Menschen in aller Welt. Mit seinem Urteil nimmt das Bundesverwaltungsgericht den überwachten Personen den rechtsstaatlichen Anspruch, sich gegen Massenüberwachung wehren zu dürfen. Ausserdem entzieht sich das Bundesverwaltungsgericht der Verantwortung, sich inhaltlich mit der anlasslosen und verdachtsunabhängigen Massenüberwachung durch den Geheimdienst auseinandersetzen zu müssen.

Brisant am Urteil ist, dass das Bundesverwaltungsgericht auch dafür zuständig ist, Aufträge zur Kabelaufklärung zu genehmigen. Das Gericht hält seine Genehmigungsentscheide geheim. Gemäss NDG genehmigt das Gericht nicht etwa einzelne Suchbegriffe, sondern erhält vom NDB lediglich Kategorien von Suchbegriffen vorgelegt.

Nachdem 2018 umfangreiche Schriftenwechsel zur Beschwerdelegitimation und der Funktionsweise der Kabelaufklärung stattfanden, ist das Urteil enttäuschend und mutlos.

Die Digitale Gesellschaft wird gegen das Urteil an das Schweizerische Bundesgericht gelangen. Das Verfahren ist Teil der strategischen Klagen der Digitalen Gesellschaft für Freiheitsrechte in einer digitalen Welt. Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg ist bereits die Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz hängig.

Mithelfen

Das Gerichtsverfahren kostet mehrere zehntausend Franken. Unterstütze uns mit einer Spende oder einer Mitgliedschaft.

Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern auf Seiten der Digitalen Gesellschaft sind Serena Tinari (Recherchejournalistin und Präsidentin von investigativ.ch), Noëmi Landolt (Journalistin und Buchautorin «Mission Mittelmeer»), Marcel Bosonnet (Rechtsanwalt von Edward Snowden), Andre Meister (netzpolitik.org), Heiner Busch (Solidarité sans frontières) sowie Norbert Bollow und Erik Schönenberger (Digitale Gesellschaft).

Das Gericht urteilte in der Besetzung mit Kathrin Dietrich (CVP, Vorsitz) sowie Christoph Bandli (SVP) und Jürg Steiger (SVP). Gerichtsschreiber war Benjamin Strässle-Kohle.

Schriftenwechsel und Urteil