Kabelaufklärung am Bundesverwaltungsgericht

Digitale Gesellschaft weist verharmlosende Darstellung zur Massenüberwachung des Geheimdienstes zurück

Auch die Funkaufklärung ist von der Beschwerde
betroffen: Abhörstation Leuk VS.

Alle Personen in der Schweiz können durch den Geheimdienst mit der Kabelaufklärung ohne Anlass und Verdacht überwacht werden. Das Schweizerische Bundesgericht hiess eine Beschwerde der Digitalen Gesellschaft gegen diese Form der Massenüberwachung vollumfänglich gut. In der Folge liegt das Verfahren wieder beim Bundesverwaltungs­gericht. Nun stellt sich der Geheimdienst auf den Standpunkt, dass der vom Bundesgericht verlangten Prüfung mit einer einseitigen und beschönigenden Stellungnahme Genüge getan ist. Dies wird jedoch den Vorgaben des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht im Ansatz gerecht.

Die Kabelaufklärung ist ein massgeblicher Teil der anlasslosen und verdachtsunabhängigen Massenüberwachung durch den schweizerischen Geheimdienst. Mit der Kabelaufklärung kann der Datenverkehr zwischen der Schweiz und dem Rest der Welt umfassend erfasst und überwacht werden. Die Kabelaufklärung wurde mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) in der Schweiz legalisiert.

Die Digitale Gesellschaft hatte Beschwerde am Bundesverwaltungsgericht gegen die anlasslose und verdachtsunabhängige Massenüberwachung durch den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erhoben. Allerdings hatte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern der Digitalen Gesellschaft damals das Recht auf Beschwerde verweigert. Es hatte seinen Entscheid mit Verweis auf das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht von einzelnen betroffenen Personen begründet. Damit, so das Bundesverwaltungsgericht, bestünde die Möglichkeit, die Verletzung von Grundrechten durch den Geheimdienst zu rügen und damit eine «rechtmässige» Überwachung gerichtlich durchzusetzen.

Das Bundesgericht widersprach dieser Darstellung deutlich: Mit Urteil vom 1. Dezember 2020 wurde die Beschwerde der Digitalen Gesellschaft vollumfänglich gutgeheissen und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben. Das Bundesgericht wies das Bundesverwaltungsgericht in seinem Rückweisungsentscheid an, zu prüfen, ob das «System» der Funk- und Kabelaufklärung die Grundrechte der Betroffenen verletzt und – um einen wirksamen Grundrechtsschutz sicherzustellen – in letzter Konsequenz einzustellen ist.

Im wieder aufgenommenen Verfahren am Bundesverwaltungsgericht konnte sich der Geheimdienst zum Rückweisungsentscheid sowie den Beweisanträgen der Digitalen Gesellschaft äussern. Der Geheimdienst hat eine einseitige und beschönigende Stellungnahme eingereicht und stellt sich sinngemäss auf den Standpunkt, dass der vom Bundesgericht verlangten Prüfung damit Genüge getan ist. Es erachtet seine Ausführungen als ausreichend und offeriert – für den Fall, dass sich das Bundesverwaltungsgericht dem nicht anschliesst – die Befragung eines beim Geheimdienst tätigen technischen Experten. Dies wird den Vorgaben des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht im Ansatz gerecht.

Es muss zudem stark angezweifelt werden, dass die in der Stellungnahme gewählten Beispiele – Bekämpfung von NBC-Proliferation mittels Kabelaufklärung sowie Überwachung der Satellitentelefonie zwischen Mitgliedern von Milizen im Nahen Osten – realitätsnah sind und dass in den geschilderten Fällen tatsächlich relevante Ergebnisse erzeugt werden könnten. (NBC steht abgekürzte für nukleare, biologische und chemische Waffen.)

Hingegen kann bereits ein einzelner Auftrag zur Kabelaufklärung zur Folge haben, dass ein erklecklicher Teil des grenzüberschreitenden Datenverkehrs ausgeleitet wird. Das Bundesgericht anerkannte daher in seinem Urteil, dass die Kabelaufklärung eine Form der anlasslosen Massenüberwachung darstellt, von der jede Person potenziell betroffen ist.

«Das Bundesverwaltungsgericht muss daher konsequent untersuchen, ob das ‹System› der Funk- und Kabelaufklärung die Grundrechte der Betroffenen verletzt und – um einen wirksamen Grundrechtsschutz sicherzustellen – in letzter Konsequenz einzustellen ist», betont Erik Schönenberger, Beschwerdeführer und Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft.

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Das Verfahren ist Teil der strategischen Klagen der Digitalen Gesellschaft für Freiheitsrechte in einer digitalen Welt. Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg ist bereits die Beschwerde gegen die Massenüberwachung mittels Vorratsdatenspeicherung hängig.

Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern der Digitalen Gesellschaft sind Serena Tinari (Recherche-Journalistin), Noëmi Landolt (Journalistin und Buchautorin «Mission Mittelmeer»), Marcel Bosonnet (Rechtsanwalt von Edward Snowden), Andre Meister (netzpolitik.org), sowie Norbert Bollow und Erik Schönenberger (Digitale Gesellschaft).

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